Aus der Geschichte des Chaos Computer Clubs: Der „legendäre“ Btx-Hack

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Bereits im November 1983 war Wau Holland auf dem Stammtisch mit Steffen Wernéry zusammengetroffen. Beide waren sich einig, dass der Computer ein Medium mit einem großen Potenzial war. Als größte Chance, mit dem Computer als Medium zu arbeiten und eine große Zahl von Menschen zu erreichen, galt zu der Zeit das Bildschirmtextsystem der Bundespost (Btx), das zu der Zeit gerade mit einem großen Marketingaufwand eingeführt wurde.1Vgl. Daniel Kulla: Der Phrasenprüfer. Szenen aus dem Leben von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs. Löhrbach 2003, S. 26f.

Bilschirmpest
Abgewandeltes Logo vom Btx. Aus der Datenschleuder 5+6/1984.

Die technischen Grundlagen von Btx waren bei seiner Einführung bereits 10 Jahre alt. Anfang der Siebziger Jahre von der britischen Telekom unter dem Namen Viewdata bzw. Prestel entwickelt, sollte das System über die Telefonleitung und einem Zusatzgerät Informationen eines zentralen, von der Post kontrollierten Computers auf den Fernsehgeräten der Teilnehmer darstellen. Auch die Möglichkeit, anderen Benutzern Nachrichten zu senden und eine Bezahlfunktion war in das System eingebaut. Nachdem bereits 1977 die Einführung in Deutschland beschlossen wurde, verzögerte sich diese wegen politischer und medienrechtlicher Auseinandersetzung über die Zuständigkeit vom Bund oder den Ländern bis ins Jahr 1984.2Vgl. Dietrich Ratzke: Handbuch der Neuen Medien. Information und Kommunikation, Fernsehen und Hörfunk, Presse und Audiovision heute und morgen. Stuttgart 1982. S. 180-213. Die Bundespost setzte dennoch große Hoffnungen auf Btx und prognostizierte 1983, dass bis Ende der achtziger Jahre über drei Millionen Btx-Anschlüsse geschaltet seien.3Vgl. Störendendes Flimmern. In: DER SPIEGEL 21/1984, S. 58-60, hier S. 59. Das Ziel von drei Millionen Anschlüssen wurde jedoch deutlich verpasst. Ende 1987 waren erst 96.000 Anschlüsse geschaltet, vgl. Bildschirmtext: Ziel verfehlt. In: DER SPIEGEL 3/1988, S. 101.

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Der Chaos Computer Club 1984: erste Datenschleudern und das 64`er-Interview

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hacker-hymne
Die Hacker-Hymne aus der Datenschleuder 1/1984. Die deutsche Übersetzung erschien so auch schon auf der Hacker-Doppelseite in der taz.

Die erste Datenschleuder war im Format ihrem Vorbild TAP nachempfunden und bestand aus vier Din-A4-Seiten. Ein Grund für dieses Format war, dass die Zeitschrift so leichter mit einem Kopierer vervielfältigt werden konnte, wozu im Impressum ausdrücklich aufgefordert wurde.1Im Impressum der ersten Datenschleuder heißt es hierzu: „Verbreitung der Zeitung erfolgt durch Versand/Abo (Kettenbrief), Aushang in Computershops, Waschsalons, Unis, schwarzen Brettern, Innenseiten von Klotüren und – besonders wichtig – über Fotokopierern. Sehen, kopieren, verbreiten – auf eigene Gefahr. (…) ViSdP für Fotokopien ist der Fotokopierende! Bitte Namen über den des vorher Verantwortlichen schreiben!“ Impressum. In: Die Datenschleuder 1, Februar 1984, S. 1. Auch in: Hackerbibel 1, S. 135.

Die erste Ausgabe diente vor allem dazu, den Chaos Computer Club vorzustellen. Ein Manifest, das Wau Holland dafür verfasste, trägt schlicht den Titel „Der Chaos Computer Club stellt sich vor“. Darin heißt es über den Club:

„Der Chaos Computer Club ist eine galaktische Vereinigung ohne feste Strukturen.
Nach uns die Zukunft: vielfältig und abwechslungsreich durch Ausbildung und Praxis im richtigen Umgang mit Computern wird oft auch als „hacking“ bezeichnet)[sic!].
Wir verwirklichen soweit wie möglich das ›neue‹ Menschenrecht auf zumindest weltweiten freien, unbehinderten und nicht kontrollierbaren Informationsaustausch (Freiheit für die Daten) unter ausnahmslos allen Menschen und anderen intelligenten Lebewesen.
Computer sind dabei eine nicht wieder abschaffbare Voraussetzung. Computer sind Spiel-, Werk- und Denk-Zeug: vor allem aber: ›das wichtigste neue Medium‹. Zur Erklärung: Jahrhunderte nach den ›Print‹-Medien wie Büchern, Zeitschriften und Zeitungen entständen Medien zur globalen Verbreitung von Bild und Ton; also Foto, Film, Radio und Fernsehen. Das entscheidende heutige neue Medium ist der Computer. Mit seiner Hilfe lassen sich Informationen ›über alles denkbare‹ in dieser Galaxis übermitteln und – kraft des Verstandes – wird neues geschaffen. Die zur Verbreitung benutzten Techniken sind demgegenüber untergeordnet.“2Der Chaos Computer Club stellt sich vor. In: Die Datenschleuder 1, Februar 1984, S. 3. Auch in: Hackerbibel 1, S. 137.

Der Computer wird in dieser Erklärung als Medium und nicht als ein Rechengerät begriffen. Der Club stellt sich damit in die Tradition der Videobewegung der siebziger Jahre, und die Forderung nach einem „nicht kontrollierbaren Informationsaustausch […] unter […] allen Menschen“[3. Der Chaos Computer Club stellt sich vor.] stellte eine Weiterentwicklung der von der Video- und Medienbewegung aufgestellten Forderung nach Gegenöffentlichkeit dar. Durch den Computer würden dem Manifest zufolge immer mehr Bereiche miteinander verbunden, die damit einhergehende ortsungebundene Verfügbarkeit von Informationen würde ein Medium von grundlegend neuer Qualität hervorbringen:

„Alle bisher bestehenden Medien werden immer mehr vernetzt durch Computer. Diese Verbindung schafft eine neue Medien-Qualität. Es gibt bisher keinen besseren Namen für dieses neue Medium als Computer.
Wir verwenden dieses neue Medium – mindestens – ebenso (un)kritisch wie die alten. Wir stinken an gegen die Angst- und Verdummungspolitik in Bezug auf Computer sowie die Zensurmaßnahmen von internationalen Konzernen, Postmonopolen und Regierungen.“3Der Chaos Computer Club stellt sich vor.

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Die Gründung des Chaos Computer Clubs II – „Computer-Guerilla“ – Der Chaos Computer Club tritt an die Öffentlichkeit

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"Für alle computer-freaks, die die TAZ-doppelseite vom 8. 11. über die ›ha-cker‹ gelesen haben und wissen wollen, wie sie dem deutschen ›chaos com-puter club‹ beitreten können: kontakt über  WAU Holland, Schwenckestraße 85, 2 Hamburg 19 Beitrittsbedingung ist, das folgende programmierproblem zu lösen: ein pro-gramm zu bauen, das mit dem befehl ›run‹ und dem befehl ›list‹ dasselbe tut. Geht angeblich mit vielen programiersprachen u.a. Basic, Pascal, Fort-ran. Noch ein tip: das problem ist durch rekursion zu lösen."
Anzeige in der taz vom 19. 11. 1983.

Die Berichterstattung des SPIEGEL im Herbst 1983 über Hacker muss von Wau Holland intensiv beobachtet worden sein. Holland, Jahrgang 1951, hatte Anfang der Siebziger Informatik, Mathematik, Politik und Elektrotechnik in Marburg studiert und war gegen Ende des Jahrzehnts ohne Abschluss1Vgl. Wau Holland: So wird „gehackt“. Interview geführt von Werner Heine. In: konkret 1/1984, S. 64-66, hier S. 66. nach Hamburg gekommen. Schon früh von Technik, insbesondere dem Telefonnetz fasziniert, will er in den sechziger Jahren von Blinden in Marburg erfahren haben, wie über Österreich und Ungarn direkte Wählverbindungen in die DDR aufgebaut werden können, die sonst nur nach Anmeldung über das Amt geschaltet wurden. Auch mit dem Telefonnetz der Bundesbahn, wählen nur über die Telefongabel oder kostenlosen Telefonaten will er in dieser Zeit experimentiert haben.2Vgl. Wau Holland: Vortrag Geschichte des CCC und des Hackertums in Deutschland. Vortrag auf: Chaos Communication Congress, Berlin 27. Dezember 1998. Tonaufzeichnung verfügbar unter: ftp://ftp.ccc.de/congress/1998/doku/mp3/geschichte_des_ccc_und_des_hackertums_in_deutschland.mp3 (14. Februar 2012).

Obwohl politisch interessiert, fand er während seines Studiums in Marburg weder bei einer der aus seiner Sicht zu technokratischen K-Gruppen noch bei der eher technikfeindlichen Umweltbewegung Anschluss, auch wenn er deren Flugblätter und Schriften aufmerksam sammelte. Prägend war für ihn vor allem Hans Magnus Enzensbergers Aufsatz „Baukasten zu einer Theorie der Medien“3Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20 (1970). Über ästhetische Fragen. S. 159-186., in dem Enzensberger zu einem emanzipatorischen Gebrauch von Medien aufrief, bei dem die klassische Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger aufgehoben wird.4Vgl. Daniel Kulla: Der Phrasenprüfer. Szenen aus dem Leben von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs. Löhrbach 2003. S. 20f. Gegen Ende der Siebziger war Holland auf die Zeitschriften „Humus“ und „Kompost“ des Verlegers Werner Pieper gestoßen, die vom amerikanischen New Communalism der späten sechziger und frühen siebziger Jahre geprägt waren, und in denen Drogen ebenso wie moderne Technologie als mögliche Wege zu einem neuen Bewusstsein beworben wurden.5Vgl. hierzu ausführlich: Fred Turner: From Counterculture to Cyberculture. Stewart Brand, the Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism. Chicago u.a. 2006. Über den von Werner Pieper in Westdeutschland verlegten „Whole Earth Katalog“ bzw. dessen Ableger „Coevolution Quarterly“ und den „Loompanics-Katalog“, die Empfehlungen für nützliche Bücher, Zeitschriften und Werkzeuge für ein alternatives Leben enthielten, stieß er nach eigenen Aussagen gegen 1980 auf die TAP, die er später als seine „Einstiegsdroge“ bezeichnete: „Die TAPs las ich wie im Rausch. Viele bruchstückhafte Informationen fügten sich plötzlich zu einem ganzen zusammen.“6Wau Holland: TAP. Meine Einstiegsdroge. In: Hackerbibel 1, S. 179. Über die TAP will Holland auch bewusst geworden sein, dass die Erkundung der Möglichkeiten des Telefonnetzes, die in Deutschland bislang eher zufällig und spielerisch stattfand, in den USA systematisch und geplant durchgeführt wurde, vgl. Holland: Vortrag Geschichte des CCC und des Hackertums in Deutschland.7

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Die Gründung des Chaos Computer Clubs I – “Wir Komputerfrieks” – Das erste Treffen bei der taz 1981

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Während der Computer Ende der Siebziger im Alternativen Milieu als Überwachungs- und Kontrolltechnik weitgehend abgelehnt wurde, galt dies nicht für eine andere Technologie, die sich ebenfalls hervorragend zur Überwachung eignet – Video. Seit Anfang der Siebziger als Abfallprodukt der Fernsehindustrie auch auf dem Konsumentenmarkt verfügbar, galt Video bei nicht wenigen Alternativen als revolutionäre Technik, mit der der Anspruch auf Gegenöffentlichkeit verwirklicht und die Macht der etablierten Medien, insbesondere des als besonders manipulativ geltenden Fernsehens, gebrochen werden konnte.

In Hamburg wurde Mitte der Siebziger Jahre von Studierenden der Hochschule für bildende Künste und der Universität der „Medienladen Hamburg“ gegründet. Er hatte den Anspruch, „konkrete, auch politisch-konfliktorientierte Medienarbeit“1Jochen Büttner: Alternative Medienarbeit mit VIDEO. In: Gerhard Lechenauer (Hrsg.): Alternative Medienarbeit mit Video und Film. Reinbek 1979. S. 121-140, hier 134. zu machen und „einen alternativen Medienansatz gegen die herrschende Medienpraxis durchzuführen“2Büttner: Alternative Medienarbeit, S. 134.. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass Gruppen und Initiativen Videogeräte und Schnittmöglichkeiten zur Verfügung gestellt wurden, womit diese ihre Projekte selbstständig darstellen und dokumentieren konnten.3Vgl. Büttner: Alternative Medienarbeit, S. 134. Die fertigen Produktionen wurden in der Regel im kleinen Kreis vorgeführt und danach in der Videothek des Medienladens aufbewahrt, ggf. noch als Kopie anderen Videogruppen zur Verfügung gestellt. Eine große Reichweite über den Kreis der Beteiligten hinaus erreichten die Produktionen des Medienladens nur selten.4Vgl. Büttner: Alternative Medienarbeit, S. 138.

Der Hamburger Medienladen und das gemeinsame Interesse an den Möglichkeiten und Auswirkungen von Technik brachte aber fünf Männer zusammen, die im September 1981 zu einem Treffen von „Komputerfrieks“ in die Redaktionsräume der taz luden, dass vom Chaos Computer Club selber als seine informelle Gründung bezeichnet wird.5Vgl. Selbstdarstellung des Chaos Computer Club unter http://ccc.de/de/club (10. Februar 2012). Eingeladen wurde zu dem Treffen über die taz. Am 1. September 1981 erschien dort unter Aktuelles eine Meldung mit folgendem Inhalt:

TUWAT,TXT Version  Dass die innere Sicherheit erst durch Komputereinsatz möglich wird, glauben die Mächtigen heute alle. Dass Computer nicht streiken, setzt sich als Erkenntnis langsam auch bei mittleren Unternehmen durch. Dass durch Komputereinsatz das Telefon noch schöner wird, glaubt die Post heute mit ihrem Bildschirmtextsystem in ›Feldversuchen‹ beweisen zu müssen. Dass der ›personal computer‹ nun in Deutschland dem videogesättigten BMW-Fahrer angedreht werden soll, wird durch die nun einsetzenden Anzeigenkampagnen klar. Dass sich mit Kleincomputern trotzalledem sinnvolle Sachen machen lassen, die keine zentralisierten Großorganisationen erfordern, glauben wir. Damit wir als Komputerfrieks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln, tun wir wat und treffen uns am 12.9.81 in Berlin, Wattstr. (TAZ-Hauptgebäude) ab 11.00 Uhr. Wir reden über internationale Netzwerke – Kommunikationsrecht – Datenrecht (Wem gehören meine Daten?) – Copyright – Informations u. Lernsysteme – Datenbanken – Encryption – Komputerspiele – Programmiersprachen – processcontrol – Hardware – und was auch immer.  Tom Twiddlebit, Wau Wolf Ungenannt(»2)
Anzeige in der taz vom 1. 9. 1981. TUWAT,TXT Version. In: taz, 01. September 1981, S. 2.

Unter dem Pseudonym Tom Twiddlebit verbarg sich Klaus Schleisiek, Wau stand für Herwart Holland-Moritz, genannt Wau Holland, mit Wolf war Wolf Gevert gemeint. Die zwei Ungenannten waren Wulf Müller und Jochen Büttner.

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„Wargames“ – Wie die westdeutschen Medien 1983 die Hacker entdeckten

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Im Herbst des Jahres 1983 kam der amerikanische Spielfilm „Wargames – Kriegsspiele“1Vgl. Wargames – Kriegsspiele. Regie John Badham. USA 1983. in die westdeutschen Kinos. In dem Film manipuliert der jugendliche Protagonist David mithilfe seines Heimcomputers und eines Akustikkopplers nicht nur Noten auf dem Schulcomputer, sondern er findet auch zufällig einen Zugang zu einem Militärcomputer. In dem Glauben, es handele sich um ein Computerspiel, startet er dort eine Simulation, die vom Militär für einen sowjetischen Angriff gehalten wird. Erst im letzten Moment wird der Irrtum erkannt und der Gegenschlag abgebrochen. Im weiteren Verlauf des Films muss sich David dann mit allerlei technischen Tricks gegen FBI und Militär zu Wehr setzen sowie das Computersystem von der Sinnlosigkeit eines Nuklearkrieges überzeugen.

Mit dem Film wurde die Debatte über Hacker, die in den USA spätestens seit dem Sommer 1983 geführt wurde auch von den westdeutschen Medien aufgenommen. Bereits im Frühjahr hatte DER SPIEGEL einen Artikel über „umherschweifend[e] Hack-Rebell[en]“2 Schweifende Rebellen. In: DER SPIEGEL 21/1983, S. 182-185, hier S. 185. veröffentlicht, in dem Hacker als „Computer-Besessene“ vorgestellt worden, „die in dem rechnervernetzten Amerika ein elektronisches Spiel ohne Grenzen treiben“3 Schweifende Rebellen, S. 182.. Es handele sich um „eine Gruppe manischer Computer-Fans, die stunden- oder tagelang vor der Eingabetaste hocken und Fragen oder Befehle hinein›hacken‹ – kaum daß sie sich Zeit zum Essen und zum Schlafen nehmen“4Schweifende Rebellen, S. 182.. Während die guten Hacker nur wie Touristen in fremden Datenbeständen unterwegs seien, würden die bösen, die als Crasher bezeichnet werden, auch zum Vandalismus greifen. Beide Gruppen würden nicht gegeneinander kämpfen, sondern sich „gemeinsam in den Rechnernetzen [tummeln] – beide Gruppen betrachten sich als Opfer eines als ungerecht empfundenen Systems.“5Schweifende Rebellen, S. 182. Während einige Hacker mit ihren meist überragenden Fähigkeiten Karriere an Universitäten oder in der Wirtschaft machen würden, lebten andere ihre Frustration über vergebliche Job- oder Studienplatzsuche in fremden Computern aus. In Untergrundzeitschriften wie dem „Tap Newsletter“ würde sich die Szene austauschen und über gefundene Sicherheitslücken berichten.6Vgl. Schweifende Rebellen, S. 185.

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„Die Studie“ – Der Chaos Computer Club und die Grünen 1986

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Trau keinem computer, den du nicht (er-)tragen kannst.
Titelbild der „Studie“.

1986 wollte auch der Deutsche Bundestag endlich an der Heimcomputerrevolution teilnehmen. Eine Kommission des Ältestenrates hatte 1984 die USA bereist, dort das Computersystem des US-Kongresses kennengelernt und die Idee eines parlamentsinternen Computersystems mit nach Bonn gebracht.

Durch die Einführung eines Computernetzwerkes, so die Hoffnung der Parlamentarier, könnte die Informationsverteilung vereinfacht werden und Unmengen an Papier und Botengängen eingespart werden. Um zukunftsfähig zu sein, sollte das System gleich auf dem neuen Telefonstandard ISDN basieren, über den die Computer im Bundestag ebenso miteinander verbunden werden sollten, wie die Computer in den Wahlkreisbüros der Abgeordneten. Für die Einführung von Parlakom, so der Name des geplanten Netzwerkes, wurden 1986 im Haushalt des Bundestages 8,7 Millionen Mark eingeplant, welche an die Fraktionen verteil werden sollten. Während die CDU/CSU Fraktion voraus preschte und auf die Technik der amerikanischen Firma Wang setzte, war die geplante Computerisierung besonders für die Fraktion der Grünen problematisch.[467. Vgl. Schwarzer Kontinent. In: DER SPIEGEL 19/1986, S. 55-58.]

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Die „gesellschaftssanitäre Aufgabe der Polizei“ – Horst Herold im Interview (1980)

Horst Herold, Präsident des Bundeskriminalamtes von 1971 bis 1981, gehört sicherlich zu den bekannteren Figuren der 1970er Jahre. Als oberster Terroristenjäger der Republik war er maßgeblich für die Fahndung nach der RAF und der Bewegung 2. Juni verantwortlich und hat die Entwicklung des BKA geprägt wie kein zweiter. Bereits während seiner Zeit als Polizeipräsident von Nürnberg (1967-71) hat er sich mit Kriminalgeographie und dem polizeilichen Nutzen von Computern zur Speicherung und Auswertung von Informationen befasst, ein Instrument, welches er ab 1971 beim BKA forciert ausbaute. Nachzulesen ist über die bemerkenswerte Karriere von Horst Herold in der gelungenen Biographie von Dieter Schenk: „Der Chef. Horst Herold und das BKA.

Am Ende seiner Tätigkeit beim BKA, im Spätsommer 1980, gab Horst Herold dem Anwalt, Journalisten und Bürgerrechtler Sebastian Cobler ein folgenreiches Interview über die aktuelle Entwicklung der Kriminalistik. In der Fassung, in der das Gespräch schließlich im Magazin TransAtlantik erschien, war es Wasser auf den Mühlen jener, die im Computer eine große Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft sahen…

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Das Gespräch zwischen Herold und dem Bürgerrechtler und Journalisten Sebastian Cobler sollte ursprünglich in der Zeitschrift Kursbuch erscheinen. Von der Offenheit seiner eigenen Worten überrascht, lies Herold das Gespräch jedoch derart redigieren, dass laut Cobler kaum noch etwas vom ursprünglichen Gesprächsinhalt übrig blieb. Auf die Veröffentlichung im Kursbuch verzichtet er daraufhin. Stattdessen erschien das unredigierte Interview in dem vom Kursbuch-Herausgeber Enzensberger gerade neugegründetem Kulturmagazin TransAtlantik, „als ein politisches Dokument“1Sebastion Cobler: Herold gegen Alle. Gespräch mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes. In: TransAtlantik 11/1980, S. 29-40, hier S. 29. Rudolf Augstein veröffentliche Auszüge aus dem Interview zusammen mit seiner Kommentierung im SPIEGEL, vgl. Rudolf Augstein: Der Sonnenstaat des Doktor Herold. Rudolf Augstein über ein Interview, das nicht gedruckt werden sollte. In: DER SPIEGEL 44/1980, S. 42-49. In einem Brief an den SPIEGEL äußerte sich Herold über das Interview, dass „der Sinngehalt (seiner) Aussage sich in dem Text nicht abbildet.“ Der Text würde „einseitig und primitivierend – teils verkürzend, teils aus dem Zusammenhang nehmend – Passagen zu einer Dialogfolge (montieren), die nicht stattgefunden“ haben. Die von ihm „ausbedungene Darstellung des polizeilichen Standpunktes zu aktuellen Fragen, die den eigentlichen Gesprächsinhalt ausmacht, (sei) nur bruchstückhaft und missverständlich angedeutet“, vgl. Hausmitteilung. Betr.: Herold. In: DER SPIEGEL 44/1980, S. 3..

Aus Sicht von Herold stellt sich die Geschichte des Interviews jedoch anders dar. Nach der Veröffentlichung des Interviews in TransAtlantik und einer anschließenden auszugsweisen Verwertung im Spiegel hatte Herold erfolgreich gegen Cobler geklagt, da er der Meinung war, das die veröffentlichte Fassung durch Auslassungen, Verkürzungen und Umstellungen nur noch wenig mit dem eigentlichen Gesprächsverlauf zu tun hätte.2Vgl. Dieter Schenk: Der Chef. Horst Herold und das BKA. Hamburg 1998. S. 430-433.2 Herold klagte nicht nur gegen Cobler, in den folgenden Jahren führte er über 70 Prozesse gegen die Verwendung des Interviews in unterschiedlichen Publikationen, darunter gegen den SPIEGEL. Cobler gab am Ende zu, dass seine Fassung des Interviews zu Fehldeutungen von Herolds Aussagen führen könne.3Vgl. Schenk: Chef, S. 453f. Trotz und auch wegen dem Vorgehen Herolds gegen das Interview führte es dazu, die Ängste gegen den „Computerstaat“ noch weiter zu verstärken. Daher stellt das Interview eine zeitgeschichtliche Quelle von hohem Wert dar.

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„Die Magie der Roboter“ – wie der SPIEGEL 1956 über Computer berichtete

In einem der ersten an ein breites Publikum gerichteten Artikel berichtete DER SPIEGEL 1956 (40/1956, S. 42-53) über die neue Erfindung des Computers (ohne diesen Begriff jedoch zu verwenden) und den erwarteten sozialen und politischen Auswirkungen der neuartigen „Elektronengehirne“.

In diesem frühen Bericht wird bereits das Schreckgespenst einer durch Computer und Automatisierung drohenden Arbeitslosigkeit an die Wand gemalt:

„Sie [die Elektronengehirne] lenken und beaufsichtigen industrielle Arbeitsvorgänge, ersetzen die Menschen, vertreiben sie aus den Büros und von den Arbeitsplätzen an den Fließbändern.“

Und als Zitat von Alwin Walther:

„›Auf diese Weise werden offenbar Buchhalter und ähnliche mittlere Angestellte, die bisher prinzipiell einfache, aber lange und stumpfsinnige Rechenarbeit zu leisten hatten, von Arbeitslosigkeit bedroht …‹“

Neben Grundsätzlichen (Binärsystem, Geschichte der Rechenmaschinen, Kybernetik) wird auch die Befürchtung erwähnt, der Computer könne die Macht des Staates vergrößern:

„Wiener warnte, derartige Maschinen würden den Staat zum bestinformierten Spieler auf jeder einzelnen Ebene machen und ihn zum höchsten Koordinator aller Teilentscheidungen erheben: ›Das sind außerordentliche Privilegien. Wenn sie wissenschaftlich fundiert werden, werden sie den Staat unter allen Umständen in die Lage versetzen, alle anderen Spieler eines menschlichen Spiels zu schlagen …‹“

Die Proteste gegen die Volkszählung 1983 (und 1987)

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Wochen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Auf einer Veranstaltung zu dem Thema Personalinformationssysteme im Dezember 1982 in Hamburg wurde eine Lawine losgetreten, die als eine der größten Protest- und Boykottbewegung der Bundesrepublik der 1980er Jahre gilt: der massenhafte Widerstand gegen die für 1983 geplante und schließlich 1987 durchgeführte Volkszählung.1Vgl. Andreas Wirsching: Abschied von Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982-1990. München 2006. S. 395.

Noch unter der sozialliberalen Koalition wurde im Frühjahr 1982 von allen im Bundestag vertretenen Parteien ein Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung verabschiedet. Das Gesetz sah vor, zwischen dem 18. und 27. April 1983 mithilfe von 600.000 Zählern jedem Haushalt in der Bundesrepublik Fragebögen zuzustellen und diese bis zum 7. Mai wieder ausgefüllt abzuholen. Die Fragebögen enthielten 36 Fragen über die Wohnung, den im Haushalt lebenden Personen und über deren Arbeitsstätten, ein weiterer Fragebogen verlangte die Angabe von Name, Anschrift und Telefonnummer.2Vgl. Nicole Bergmann: Volkszählung und Datenschutz. Proteste zur Volkszählung 1983 und 1987 in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg 2009. S. 4. Obwohl die Volkszählung vom Grundsatz her nur für statistische Zwecke geplant war und die Daten daher anonym erfasst werden sollten, erregte die Befragung großes Misstrauen in der Bevölkerung.3Zur zeitgenössischen Diskussion der Volkszählung siehe insbesondere: Jürgen Taeger (Hrsg.): Die Volkszählung. Reinbek 1983 sowie Wolfgang Hippe, Martin Stankowski (Hrsg.): Ausgezählt. Materialien zu Volkserfassung und Computerstaat – Ansätze zum Widerstand. Köln 1983.

Die größte Sorge war, dass mithilfe von Computern problemlos eine De-Anonymisierung der Datensätze möglich sei,4Zu den Möglichkeiten der De-Anonymisierung siehe Bergmann: Volkszählung, S. 21-25. und dass die Datensätze daher von staatlichen Behörden zweckentfremdet und vom BKA oder dem Verfassungsschutz zur Vervollständigung ihrer Datenbanken verwendet werden.5Vgl. Bergmann: Volkszählung, S. 25-30. Mit der Volkszählung, so die Befürchtungen, würde die Ohnmacht der Bürger gegenüber dem mit Computern und Daten ausgestatteten Informations- und Überwachungsstaat total.

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„Das Stahlnetz stülpt sich über uns“ – SPIEGEL-Serie von 1979 über elektronische Überwachung und die Gefahren des Computers

Die Auseinandersetzungen mit den elektronischen Schnüffeleien des Bundeskriminalamtes und der Verfassungsschutzbehörden sind deutlich älter als die Debatte um den Bundestrojaner (2011) oder den Großen Lauschangriff (1995). Bereits Ende der 1970er wurde befürchtet, dass die Sicherheitsbehörden mit Hilfe von Computern nun erstmalig dazu in der Lage seien, einen großen Teil der Bevölkerung systematisch zu überwachen und zu „verdaten“.

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In einer siebenteiligen Serie mit dem Titel „Das Stahlnetz stülpt sich über uns“1Vgl. (Jochen Bölsche): SPIEGEL-Serie „Das Stahlnetz stülpt sich über uns“. Die westdeutschen Polizei- und Geheimdienstcomputer. (I) In: DER SPIEGEL 18/1979, S. 24-29; (II) In: DER SPIEGEL 19/1979, S. 36-56; (III) In: DER SPIEGEL 20/1979, S. 36-57; (IV) In: DER SPIEGEL 21/1979, S. 67-87; (V) In: DER SPIEGEL 22/1979, S. 72-94; (VI) In: DER SPIEGEL 23/1979, S. 38-54; (VII) In: DER SPIEGEL 24/1979, S. 34-57. berichtete DER SPIEGEL im Sommer 1979 umfangreich über die neuen Formen der elektronischen Datensammlung, Überwachung und Fahndung sowie über die damit verbundenen Ängste. Die vom SPIEGEL-Redakteur Jochen Bölsche verfasste Serie kann für die Debatte über elektronische Überwachung und den Gefahren eines hemmungslosen Computereinsatzes als sehr einflussreich angesehen werden, da sie einen größeren Leserkreis erstmals ausführlich über die schon vorhandene oder geplanten elektronischen Überwachungsmaßnahmen aufklärte.

Angereichert mit Stellungnahmen von Datenschützern, Polizisten und Politikern erschien die Reportage bereits im September 1979 auch als Buch.2 Vgl. Jochen Bölsche: Der Weg in den Überwachungsstaat. Reinbek 1979. Im Vorwort schrieb Bölsche dort: „Wer die Bundesrepublik des Jahres 1979 als perfekten Überwachungsstaat darstellt, redet ihn herbei.“3Bölsche: Überwachungsstaat, S. 9. Aber: „Wer nicht verharmlosen will, muß auf all die vielen schon heute sichtbaren Tendenzen hinweisen, die – wenn sie nicht gestoppt werden – die Bundesrepublik eines Tages in der Tat in einen totalitären Überwachungsstaat verwandeln können.“4 Bölsche: Überwachungsstaat, S. 9. Im Folgenden wird daher die SPIEGEL-Serie als Beispiel für die befürchteten Möglichkeiten und Auswirkungen einer computergestützten Überwachung herangezogen, nicht aber für die 1979 tatsächlich praktizierten Maßnahmen.

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