30 Jahre COMPUTER-GUERILLA – 30 Jahre Chaos Computer Club

1983-11-08-COMPUTER-GUERILLA
Überschrift auf der taz-Doppelseite vom 8.11.1983

Vor 30 Jahren, am 8. November 1983, veröffentlichte Wau Holland in der damals noch jungen und linksalternativen taz eine Doppelseite über „COMPUTER GUERILLA, die als ein Gründungsdokument des Chaos Computer Clubs und der deutschen Hackerszene gelten kann.

Im Herbst 1983 machte ein Hollywoodfilm die Macht, die mit einem vernetzten Heimcomputer ausgeübt werden kann, sehr anschaulich. In „War Games“ brachte der jugendliche Protagonist David mit seinem Heimcomputer und einem Modem die Welt an dem Rand der atomaren Vernichtung, ehe er sie heldenhaft retten konnte, indem er mit einem Computer Tic Tac Toe spielte. Der Film brachte das Phänomen der amerikanischen Hacker in das Bewusstsein der bundesdeutschen Öffentlichkeit, insbesondere der SPIEGEL wurde nicht müde, über die „umherschweifenden Hack-Rebellen“ (Die Formulierung spielt auf die „umherschweifenden Hasch-Rebellen“, eine 1969 bestehende westberliner Gruppe, die eine Vorläufer der Bewegung 2. Juni war) zu berichten. Auf der Messe der Internationale Fernmeldeunion ITU, der „telecom 83“ (auf der Seite der ITU kann man einen Bericht und einige Bilder von der telecom 1983 sehen) in Genf interviewte der Spiegel sogar Richard Cheshire, dem Herausgeber der TAP, einem damals schon legendären Newsletter über die Ge- bzw. Missbrauchsfälle der globalen Kommunikationsnetze.

Auch Wau Holland war damals nach Genf gefahren, um für die taz zu berichten und sich ebenfalls mit Cheshire zu treffen. Das Ergebnis dieser Reise war die Doppelseite, die eine Woche später in der taz erschien. Aufmacher war der Reisebericht von Wau und die Schilderung seines Messerundgangs. Wau war auf der Messe mit einem kritischen Blick auf die vorgestellten Produkte unterwegs und schaute hier und da, ob er nicht unzureichend gesicherten Passwörtern entdecken konnte („Alle Tastaturen hochheben. Zettel drunter abschreiben! Oder anderen hinlegen. Kilroy was here.“), die ihm Zugang zu ansonsten verschlossen, aber höchst interessanten Systemen verschaffen können. Natürlich hat Wau auch dem Stand der Bundespost einen Besuch abgestattet und die Postler mit kritischen Fragen gelöchert: Wie sieht es beispielsweise mit Zensur beim Bildschirmtext aus?

„30 Jahre COMPUTER-GUERILLA – 30 Jahre Chaos Computer Club“ weiterlesen

Phil Lapsley – Exploding the Phone

Cover: Lapsly - Exploding the PhoneEin lange angekündigtes Buch, auf das ich warte, seitdem ich vor drei Jahren mit meinen Recherchen zur Geschichte der Hacker und des Hackens angefangen habe, ist gerade herausgekommen: Phil Lapsley – Exploding the Phone

Lapsley ist nicht nur bereits seit den 1980ern in Computernetzwerken unterwegs (seinen Anteil an der Abwehr des Morris-Wurms kann man in Hafner/Markoff: Cyberpunks nachlesen), sondern auch der Experte, wenn es um die Geschichte des „Phone Phreakings“ geht, dem Hacken der „größten Maschine der Welt“, dem Telefonsystem. Bereits 2008 hat er einen wirklich interessanten Vortrag darüber auf der Hope gehalten, dem amerikanischen Hackerkongress, den er letztes Jahr aktualisiert hat.

In „Exploding the Phone“ berichtet Lapsley davon, dass den Managern des amerikanischen Telefonmonopolisten AT&T in den 1920ern allmählich klar wurde, dass das immer größer werdende Telefonnetz nicht mehr lange nur mit menschlicher Intelligenz geroutet werden kann. Ab den 1930ern wurde das amerikanische Telefonnetz daher schrittweise automatisiert – eine große Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die ersten Planungen dazu vor der Erfindung des Computers unternommen wurden. Die Ingenieure der Bell-Labs lösten das Problem mit mechanischen Relais – allerdings ohne ein Gedanken an die Sicherheit zu verschwenden. Um die Kosten des automatisierten Vermittlungssystems niedrig zu halten, wurden die gleichen Leitungen, die für die Übermittlung der Sprache zuständig waren, auch für die Signalisierung von freien Leitungen und zu Übermittlung der Rufnummer genutzt (so genanntes In-band signaling). Kern des neuen Systems war ein Ton von 2600 Hz. Ein Dauerton in dieser Frequenz signalisierte eine freie Leitung, gepulst konnte mit dem Ton gewählt werden.

„Phil Lapsley – Exploding the Phone“ weiterlesen

Podcast: „Stimmen der Kulturwissenschaften“

Kurzer Linkhinweis: Ich war beim Podcast „Stimmen der Kulturwissenschaften“ zu Gast und habe über die Anfänge des Chaos Computer Clubs gesprochen:

SdK 42: Matthias Röhr über die Anfänge des Chaos Computer Clubs

Der Chaos Computer Club 1985 und 1986 – Hackerbibeln, Datenklo und der Vorwerk-Fall

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Die Kritik der Gruppe Schwarz & Weiß traf zumindest in einem Punkt zu. Seit dem Btx-Hack war der CCC bei den Medien gefragt und war sogar beim ZDF Jahresrückblick „Menschen 84“ zu Gast.1Vgl. Gruppe Schwarz & Weiß: Wo bleibt das Chaos? In: taz hamburg, 22. Februar 1985, S. 15. Auch die Buchverlage witterten, dass das Thema Hacker in Westdeutschland ein interessantes Thema sein könnte. Im Frühjahr 1985 kamen daher zwei Taschenbücher auf den Markt, die sich mit der deutschen Hackerszene auseinandersetzen und bei denen jeweils der Chaos Computer Club im Mittelpunkt stand.

Im Rowohlt-Verlag erschien im Februar ein Buch des konkret-Autors Werner Heine2 Heine hatte für die konkret bereits Anfang 1984 Wau Holland interviewt. Vgl. Holland: So wird „gehackt“., das „Die Hacker. Von der Lust, in fremden Datennetzen zu Wildern“3 Werner Heine: Die Hacker. Von der Lust, in Fremden Datennetzen zu Wildern. Reinbek 1985. hieß. Darin porträtiert der Autor den CCC als eine Gruppe von Menschen, die die Macht des Computers verstanden hätte, und denen es jetzt darum ginge, diese Macht ad absurdum zu führen. So soll Wau Holland laut Heine bei einer Fahrscheinkontrolle einmal seinen transportablen Computer herausgeholt und die Dienstnummer des Kontrolleurs eingegeben haben – dies allein hätte genügt, um die gefühlte Machtverteilung in dieser Situation völlig umzudrehen.

Dennoch würde der CCC laut Heine keine Politik machen, denn dies würde gemeinsames Handeln nach Regel erfordern, was den individualistischen Mitgliedern des CCC fremd sei. Heine weiter:

„Wenn Wau und die anderen trotzdem für etwas kämpfen, dann ist es das Recht auf ungehinderte Kommunikation. ›Die neuen Technologien‹, sagt Wau, ›sind Bürgersteige, auf denen wir das Wegerecht beanspruchen.‹“4Werner Heine: Die Hacker, S. 14f. Das zweite Buch, das Anfang 1985 auf den Markt kam, war „Die Hacker sind unter uns. Heimliche Streifzüge durch die Datennetze“ von Thomas Ammann und Matthias Lehnhardt. Die beiden Journalisten beschreiben darin einige der Aktionen des CCC und beschreiben im Stil einer Reportage ihre Reise in die Hackerszene, im Kapitel „Kabelsalat mit Hack“ setzen sie sich auch mit der erst kurzen Geschichte der Hacker in Westdeutschland und dem Chaos Computer Club auseinander, jedoch ohne im besonderen auf die Ziele des Clubs einzugehen, vgl. Thomas Ammann, Matthias Lehnhardt: Die Hacker sind unter uns. Heimliche Streifzüge durch die Datennetze. München 1985.

Aber auch der Club selbst war 1985 publizistisch tätig. Das Angebot einiger Verlage, ein Buch des CCCs zu verlegen, lehnte Wau Holland jedoch ab. Da er seit Längerem die Zeitschriften und Bücher des alternativen Verlegers Werner Piper las, wandte er sich an Pieper, um eine „Hackerbibel“ zu produzieren, die im Herbst 1985 erschien. Die Hackerbibel sollte die bisherigen Aktionen des Clubs dokumentieren und „das gesammelte Gedankengut verbreiten, um angefangenes fortzuführen und neues zu kreieren“5 Chaos-Team: Vorwort zu ersten Auflage. In: Hackerbibel 1, S. 9.. Im Sommer 1988 folgte im gleichen Format ein zweiter Teil der Hackerbibel.6Vgl. Chaos Computer Club: Die Hackerbibel 2. Das Neue Testament. Löhrbach 1988.

Deckblatt der Hackerbibel 1
Deckblatt der ersten Hackerbibel.

„Der Chaos Computer Club 1985 und 1986 – Hackerbibeln, Datenklo und der Vorwerk-Fall“ weiterlesen

Der Chaos Computer Club 1984: erste Datenschleudern und das 64`er-Interview

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

hacker-hymne
Die Hacker-Hymne aus der Datenschleuder 1/1984. Die deutsche Übersetzung erschien so auch schon auf der Hacker-Doppelseite in der taz.

Die erste Datenschleuder war im Format ihrem Vorbild TAP nachempfunden und bestand aus vier Din-A4-Seiten. Ein Grund für dieses Format war, dass die Zeitschrift so leichter mit einem Kopierer vervielfältigt werden konnte, wozu im Impressum ausdrücklich aufgefordert wurde.1Im Impressum der ersten Datenschleuder heißt es hierzu: „Verbreitung der Zeitung erfolgt durch Versand/Abo (Kettenbrief), Aushang in Computershops, Waschsalons, Unis, schwarzen Brettern, Innenseiten von Klotüren und – besonders wichtig – über Fotokopierern. Sehen, kopieren, verbreiten – auf eigene Gefahr. (…) ViSdP für Fotokopien ist der Fotokopierende! Bitte Namen über den des vorher Verantwortlichen schreiben!“ Impressum. In: Die Datenschleuder 1, Februar 1984, S. 1. Auch in: Hackerbibel 1, S. 135.

Die erste Ausgabe diente vor allem dazu, den Chaos Computer Club vorzustellen. Ein Manifest, das Wau Holland dafür verfasste, trägt schlicht den Titel „Der Chaos Computer Club stellt sich vor“. Darin heißt es über den Club:

„Der Chaos Computer Club ist eine galaktische Vereinigung ohne feste Strukturen.
Nach uns die Zukunft: vielfältig und abwechslungsreich durch Ausbildung und Praxis im richtigen Umgang mit Computern wird oft auch als „hacking“ bezeichnet)[sic!].
Wir verwirklichen soweit wie möglich das ›neue‹ Menschenrecht auf zumindest weltweiten freien, unbehinderten und nicht kontrollierbaren Informationsaustausch (Freiheit für die Daten) unter ausnahmslos allen Menschen und anderen intelligenten Lebewesen.
Computer sind dabei eine nicht wieder abschaffbare Voraussetzung. Computer sind Spiel-, Werk- und Denk-Zeug: vor allem aber: ›das wichtigste neue Medium‹. Zur Erklärung: Jahrhunderte nach den ›Print‹-Medien wie Büchern, Zeitschriften und Zeitungen entständen Medien zur globalen Verbreitung von Bild und Ton; also Foto, Film, Radio und Fernsehen. Das entscheidende heutige neue Medium ist der Computer. Mit seiner Hilfe lassen sich Informationen ›über alles denkbare‹ in dieser Galaxis übermitteln und – kraft des Verstandes – wird neues geschaffen. Die zur Verbreitung benutzten Techniken sind demgegenüber untergeordnet.“2Der Chaos Computer Club stellt sich vor. In: Die Datenschleuder 1, Februar 1984, S. 3. Auch in: Hackerbibel 1, S. 137.

Der Computer wird in dieser Erklärung als Medium und nicht als ein Rechengerät begriffen. Der Club stellt sich damit in die Tradition der Videobewegung der siebziger Jahre, und die Forderung nach einem „nicht kontrollierbaren Informationsaustausch […] unter […] allen Menschen“[3. Der Chaos Computer Club stellt sich vor.] stellte eine Weiterentwicklung der von der Video- und Medienbewegung aufgestellten Forderung nach Gegenöffentlichkeit dar. Durch den Computer würden dem Manifest zufolge immer mehr Bereiche miteinander verbunden, die damit einhergehende ortsungebundene Verfügbarkeit von Informationen würde ein Medium von grundlegend neuer Qualität hervorbringen:

„Alle bisher bestehenden Medien werden immer mehr vernetzt durch Computer. Diese Verbindung schafft eine neue Medien-Qualität. Es gibt bisher keinen besseren Namen für dieses neue Medium als Computer.
Wir verwenden dieses neue Medium – mindestens – ebenso (un)kritisch wie die alten. Wir stinken an gegen die Angst- und Verdummungspolitik in Bezug auf Computer sowie die Zensurmaßnahmen von internationalen Konzernen, Postmonopolen und Regierungen.“3Der Chaos Computer Club stellt sich vor.

„Der Chaos Computer Club 1984: erste Datenschleudern und das 64`er-Interview“ weiterlesen

Die Ursprünge des Chaos Computer Clubs I: Phone Freaks und Phreaking

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Bereits die von Levy beschrieben ersten Hacker waren außer vom Computer auch vom Telefonnetz begeistert. Sie erforschten das Telefonnetz des MIT genauso wie die Fähigkeiten des Computers, und Telefonrelais waren die Grundlage der komplexen Signalanlage des TRMC.1Vgl. Steven Levy: Hackers. Heroes of the Computer Revolution. New York 1984, S. 51. Dennoch hat das kreative Herumspielen mit dem Telefonsystem eine andere Geschichte als die Hackerkultur, auch wenn die als Phreaking (von „phone freak“2Zum Ursprung des Begriffes Phreak siehe Phil Lapsley: Hot For Words: The Etymology of „Phreak“ sowie Phil Lapsley: More on the Origin of „Phreak“.) bezeichneten Praktiken immer eng mit der Hackerkultur verbunden waren. Das Phreaking und die mit ihr verbundene Szene war neben der Hackerkultur eine bedeutende Traditionsquelle für den Chaos Computer Club.

Die Ursprünge des Phreaking liegen in der Umstellung des amerikanischen Telefonsystems von handvermittelten zu selbst gewählten Gesprächen Ende der 1950er. War bis dahin ein menschlicher Operator für Ferngespräche erforderlich, war dies nun mithilfe von automatischen Systemen und Computern alleine mit der Wählscheibe des Telefons möglich. Grundlage des ersten Selbstwahlsystems des amerikanischen Telefonnetzes war ein Ton von 2600 Hz, der dem Vermittlungssystem signalisierte, das eine Fernleitung offen und bereit für eine Verbindung war. Beim Entwurf dieses Systems hatten die Ingenieure jedoch nicht an Sicherheit gedacht, sodass jeder, der in der Lage war, einen Ton von 2600 Hz zu erzeugen, Einflussmöglichkeiten auf das Telefonsystem hatte.3Das Kapitel über Phreaking basiert auf: Phil Lapsly: The History of Phone Phreaking, 1960-1980. Vortrag auf: The Last HOPE. New York, 18.-20. Juli 2008. Online unter http://www.youtube.com/watch?v=fF2NuFXVJS8 (10. Januar 2012).

„Die Ursprünge des Chaos Computer Clubs I: Phone Freaks und Phreaking“ weiterlesen

Die Gründung des Chaos Computer Clubs II – „Computer-Guerilla“ – Der Chaos Computer Club tritt an die Öffentlichkeit

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

"Für alle computer-freaks, die die TAZ-doppelseite vom 8. 11. über die ›ha-cker‹ gelesen haben und wissen wollen, wie sie dem deutschen ›chaos com-puter club‹ beitreten können: kontakt über  WAU Holland, Schwenckestraße 85, 2 Hamburg 19 Beitrittsbedingung ist, das folgende programmierproblem zu lösen: ein pro-gramm zu bauen, das mit dem befehl ›run‹ und dem befehl ›list‹ dasselbe tut. Geht angeblich mit vielen programiersprachen u.a. Basic, Pascal, Fort-ran. Noch ein tip: das problem ist durch rekursion zu lösen."
Anzeige in der taz vom 19. 11. 1983.

Die Berichterstattung des SPIEGEL im Herbst 1983 über Hacker muss von Wau Holland intensiv beobachtet worden sein. Holland, Jahrgang 1951, hatte Anfang der Siebziger Informatik, Mathematik, Politik und Elektrotechnik in Marburg studiert und war gegen Ende des Jahrzehnts ohne Abschluss1Vgl. Wau Holland: So wird „gehackt“. Interview geführt von Werner Heine. In: konkret 1/1984, S. 64-66, hier S. 66. nach Hamburg gekommen. Schon früh von Technik, insbesondere dem Telefonnetz fasziniert, will er in den sechziger Jahren von Blinden in Marburg erfahren haben, wie über Österreich und Ungarn direkte Wählverbindungen in die DDR aufgebaut werden können, die sonst nur nach Anmeldung über das Amt geschaltet wurden. Auch mit dem Telefonnetz der Bundesbahn, wählen nur über die Telefongabel oder kostenlosen Telefonaten will er in dieser Zeit experimentiert haben.2Vgl. Wau Holland: Vortrag Geschichte des CCC und des Hackertums in Deutschland. Vortrag auf: Chaos Communication Congress, Berlin 27. Dezember 1998. Tonaufzeichnung verfügbar unter: ftp://ftp.ccc.de/congress/1998/doku/mp3/geschichte_des_ccc_und_des_hackertums_in_deutschland.mp3 (14. Februar 2012).

Obwohl politisch interessiert, fand er während seines Studiums in Marburg weder bei einer der aus seiner Sicht zu technokratischen K-Gruppen noch bei der eher technikfeindlichen Umweltbewegung Anschluss, auch wenn er deren Flugblätter und Schriften aufmerksam sammelte. Prägend war für ihn vor allem Hans Magnus Enzensbergers Aufsatz „Baukasten zu einer Theorie der Medien“3Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20 (1970). Über ästhetische Fragen. S. 159-186., in dem Enzensberger zu einem emanzipatorischen Gebrauch von Medien aufrief, bei dem die klassische Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger aufgehoben wird.4Vgl. Daniel Kulla: Der Phrasenprüfer. Szenen aus dem Leben von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs. Löhrbach 2003. S. 20f. Gegen Ende der Siebziger war Holland auf die Zeitschriften „Humus“ und „Kompost“ des Verlegers Werner Pieper gestoßen, die vom amerikanischen New Communalism der späten sechziger und frühen siebziger Jahre geprägt waren, und in denen Drogen ebenso wie moderne Technologie als mögliche Wege zu einem neuen Bewusstsein beworben wurden.5Vgl. hierzu ausführlich: Fred Turner: From Counterculture to Cyberculture. Stewart Brand, the Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism. Chicago u.a. 2006. Über den von Werner Pieper in Westdeutschland verlegten „Whole Earth Katalog“ bzw. dessen Ableger „Coevolution Quarterly“ und den „Loompanics-Katalog“, die Empfehlungen für nützliche Bücher, Zeitschriften und Werkzeuge für ein alternatives Leben enthielten, stieß er nach eigenen Aussagen gegen 1980 auf die TAP, die er später als seine „Einstiegsdroge“ bezeichnete: „Die TAPs las ich wie im Rausch. Viele bruchstückhafte Informationen fügten sich plötzlich zu einem ganzen zusammen.“6Wau Holland: TAP. Meine Einstiegsdroge. In: Hackerbibel 1, S. 179. Über die TAP will Holland auch bewusst geworden sein, dass die Erkundung der Möglichkeiten des Telefonnetzes, die in Deutschland bislang eher zufällig und spielerisch stattfand, in den USA systematisch und geplant durchgeführt wurde, vgl. Holland: Vortrag Geschichte des CCC und des Hackertums in Deutschland.7

„Die Gründung des Chaos Computer Clubs II – „Computer-Guerilla“ – Der Chaos Computer Club tritt an die Öffentlichkeit“ weiterlesen

Die Gründung des Chaos Computer Clubs I – “Wir Komputerfrieks” – Das erste Treffen bei der taz 1981

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Wochen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Während der Computer Ende der Siebziger im Alternativen Milieu als Überwachungs- und Kontrolltechnik weitgehend abgelehnt wurde, galt dies nicht für eine andere Technologie, die sich ebenfalls hervorragend zur Überwachung eignet – Video. Seit Anfang der Siebziger als Abfallprodukt der Fernsehindustrie auch auf dem Konsumentenmarkt verfügbar, galt Video bei nicht wenigen Alternativen als revolutionäre Technik, mit der der Anspruch auf Gegenöffentlichkeit verwirklicht und die Macht der etablierten Medien, insbesondere des als besonders manipulativ geltenden Fernsehens, gebrochen werden konnte.

In Hamburg wurde Mitte der Siebziger Jahre von Studierenden der Hochschule für bildende Künste und der Universität der „Medienladen Hamburg“ gegründet. Er hatte den Anspruch, „konkrete, auch politisch-konfliktorientierte Medienarbeit“1Jochen Büttner: Alternative Medienarbeit mit VIDEO. In: Gerhard Lechenauer (Hrsg.): Alternative Medienarbeit mit Video und Film. Reinbek 1979. S. 121-140, hier 134. zu machen und „einen alternativen Medienansatz gegen die herrschende Medienpraxis durchzuführen“2Büttner: Alternative Medienarbeit, S. 134.. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass Gruppen und Initiativen Videogeräte und Schnittmöglichkeiten zur Verfügung gestellt wurden, womit diese ihre Projekte selbstständig darstellen und dokumentieren konnten.3Vgl. Büttner: Alternative Medienarbeit, S. 134. Die fertigen Produktionen wurden in der Regel im kleinen Kreis vorgeführt und danach in der Videothek des Medienladens aufbewahrt, ggf. noch als Kopie anderen Videogruppen zur Verfügung gestellt. Eine große Reichweite über den Kreis der Beteiligten hinaus erreichten die Produktionen des Medienladens nur selten.4Vgl. Büttner: Alternative Medienarbeit, S. 138.

Der Hamburger Medienladen und das gemeinsame Interesse an den Möglichkeiten und Auswirkungen von Technik brachte aber fünf Männer zusammen, die im September 1981 zu einem Treffen von „Komputerfrieks“ in die Redaktionsräume der taz luden, dass vom Chaos Computer Club selber als seine informelle Gründung bezeichnet wird.5Vgl. Selbstdarstellung des Chaos Computer Club unter http://ccc.de/de/club (10. Februar 2012). Eingeladen wurde zu dem Treffen über die taz. Am 1. September 1981 erschien dort unter Aktuelles eine Meldung mit folgendem Inhalt:

TUWAT,TXT Version  Dass die innere Sicherheit erst durch Komputereinsatz möglich wird, glauben die Mächtigen heute alle. Dass Computer nicht streiken, setzt sich als Erkenntnis langsam auch bei mittleren Unternehmen durch. Dass durch Komputereinsatz das Telefon noch schöner wird, glaubt die Post heute mit ihrem Bildschirmtextsystem in ›Feldversuchen‹ beweisen zu müssen. Dass der ›personal computer‹ nun in Deutschland dem videogesättigten BMW-Fahrer angedreht werden soll, wird durch die nun einsetzenden Anzeigenkampagnen klar. Dass sich mit Kleincomputern trotzalledem sinnvolle Sachen machen lassen, die keine zentralisierten Großorganisationen erfordern, glauben wir. Damit wir als Komputerfrieks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln, tun wir wat und treffen uns am 12.9.81 in Berlin, Wattstr. (TAZ-Hauptgebäude) ab 11.00 Uhr. Wir reden über internationale Netzwerke – Kommunikationsrecht – Datenrecht (Wem gehören meine Daten?) – Copyright – Informations u. Lernsysteme – Datenbanken – Encryption – Komputerspiele – Programmiersprachen – processcontrol – Hardware – und was auch immer.  Tom Twiddlebit, Wau Wolf Ungenannt(»2)
Anzeige in der taz vom 1. 9. 1981. TUWAT,TXT Version. In: taz, 01. September 1981, S. 2.

Unter dem Pseudonym Tom Twiddlebit verbarg sich Klaus Schleisiek, Wau stand für Herwart Holland-Moritz, genannt Wau Holland, mit Wolf war Wolf Gevert gemeint. Die zwei Ungenannten waren Wulf Müller und Jochen Büttner.

„Die Gründung des Chaos Computer Clubs I – “Wir Komputerfrieks” – Das erste Treffen bei der taz 1981“ weiterlesen

„Wargames“ – Wie die westdeutschen Medien 1983 die Hacker entdeckten

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Wochen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Im Herbst des Jahres 1983 kam der amerikanische Spielfilm „Wargames – Kriegsspiele“1Vgl. Wargames – Kriegsspiele. Regie John Badham. USA 1983. in die westdeutschen Kinos. In dem Film manipuliert der jugendliche Protagonist David mithilfe seines Heimcomputers und eines Akustikkopplers nicht nur Noten auf dem Schulcomputer, sondern er findet auch zufällig einen Zugang zu einem Militärcomputer. In dem Glauben, es handele sich um ein Computerspiel, startet er dort eine Simulation, die vom Militär für einen sowjetischen Angriff gehalten wird. Erst im letzten Moment wird der Irrtum erkannt und der Gegenschlag abgebrochen. Im weiteren Verlauf des Films muss sich David dann mit allerlei technischen Tricks gegen FBI und Militär zu Wehr setzen sowie das Computersystem von der Sinnlosigkeit eines Nuklearkrieges überzeugen.

Mit dem Film wurde die Debatte über Hacker, die in den USA spätestens seit dem Sommer 1983 geführt wurde auch von den westdeutschen Medien aufgenommen. Bereits im Frühjahr hatte DER SPIEGEL einen Artikel über „umherschweifend[e] Hack-Rebell[en]“2 Schweifende Rebellen. In: DER SPIEGEL 21/1983, S. 182-185, hier S. 185. veröffentlicht, in dem Hacker als „Computer-Besessene“ vorgestellt worden, „die in dem rechnervernetzten Amerika ein elektronisches Spiel ohne Grenzen treiben“3 Schweifende Rebellen, S. 182.. Es handele sich um „eine Gruppe manischer Computer-Fans, die stunden- oder tagelang vor der Eingabetaste hocken und Fragen oder Befehle hinein›hacken‹ – kaum daß sie sich Zeit zum Essen und zum Schlafen nehmen“4Schweifende Rebellen, S. 182.. Während die guten Hacker nur wie Touristen in fremden Datenbeständen unterwegs seien, würden die bösen, die als Crasher bezeichnet werden, auch zum Vandalismus greifen. Beide Gruppen würden nicht gegeneinander kämpfen, sondern sich „gemeinsam in den Rechnernetzen [tummeln] – beide Gruppen betrachten sich als Opfer eines als ungerecht empfundenen Systems.“5Schweifende Rebellen, S. 182. Während einige Hacker mit ihren meist überragenden Fähigkeiten Karriere an Universitäten oder in der Wirtschaft machen würden, lebten andere ihre Frustration über vergebliche Job- oder Studienplatzsuche in fremden Computern aus. In Untergrundzeitschriften wie dem „Tap Newsletter“ würde sich die Szene austauschen und über gefundene Sicherheitslücken berichten.6Vgl. Schweifende Rebellen, S. 185.

„„Wargames“ – Wie die westdeutschen Medien 1983 die Hacker entdeckten“ weiterlesen

Von 1968 zu 1984. Die Geschichte der TAP.

TAP
Logo der TAP von 1976 bis 1984.

Vorbemerkung

Betrachtet man die frühe Geschichte der Hackerkultur, so stößt man über kurz oder lang auf die TAP. Der Newsletter, die sich zunächst überwiegend mit Phreaking, also dem „hacken“ von Telefonnetzen beschäftigte, wurde im Mai 1971 von Abbie Hoffmann und „Al Bell“ als „YIPL“ gegründet und entwickelte sich bald zum zentralen Medium der Phreakerkultur. Ende der 1970er, mit der Verbreitung von Homecomputern, entdeckten die Phreaker und mit ihnen die TAP die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des (vernetzten) Computers. Die Phreakerkultur und die von Steven Levy beschriebene Hackerkultur verband sich in dieser Zeit und brachten einen neuen Typus des Hackers hervor, den „Datenreisenden“ der mit Hilfe von Computern und Telefon- und Datennetzen auf „Datenreisen“ ging.

Gegen 1981 stieß Wau Holland auf die TAP, die das Vorbild der Datenschleuder wurde. Die TAP war damit die stärkste Inspiration und Impuls für die Entstehung einer deutschen Hackervereinigung, die ab (spätestens) 1983 unter den Namen Chaos Computer Club auftrat.

Wer sich selber ein Eindruck von der TAP verschaffen möchte, kann dieses PDF mit einem vollständigen Scann aller Ausgaben der TAP nutzen: YIPL und TAP, Ausgaben 01-91;99,100, oder er schaut in die erste Hackerbibel ab Seite 179.

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub) und gibt einen knappen Überblick über die Geschichte der TAP von ihrer Gründung 1971 bis zu ihrem Ende 1984. Über Anmerkungen, Lob und Kritik in den Kommentaren freue ich mich natürlich. Weitere Auszüge aus meiner Masterarbeit sollen in den nächsten Tagen folgen.

„Von 1968 zu 1984. Die Geschichte der TAP.“ weiterlesen