Verschlüsselung ist Terrorismus? Ein kurzer Ausflug in die Geschichte von Kryptografieverboten

Sich mit Verschlüsselung zu befassen ist derzeit groß in Mode, sogar im Bundestag soll demnächst eine „Cryptoparty“ stattfinden, auf der sich die Abgeordneten darüber informieren können, wie sie sich vor dem Späprogramme der NSA (und des BND?) schützen können. Kryptografie scheint die letzte verbliebene Möglichkeit zu sein, sich eine Privatsphäre zu sichern. Dabei haben wir Glück, dass dies überhaupt erlaubt ist, den in den 1990ern wurde ernsthaft über ein Verbot von (privater) Kryptografie nachgedacht.

Phil Zimmermann, Entwickler der E-Mail-Verschlüsselung PGP (Quelle)
In den USA galt Kryptografie während des Kalten Krieges als Waffe, und der Export von Verschlüsselungssoftware war den gleichen Regulierungen wie Munition unterworfen. Lange Zeit durften nur Programme exportiert werden, bei denen die Schlüssellänge auf maximal 40 Bit beschränkt war – die NSA wollte ausländische Kommunikation im Zweifel mitlesen können. Unter diese Regelung fiel zu Beginn der 1990er auch die E-Mail-Verschlüsselung PGP. 1993 wurde daher vonseiten der USA ein Ermittlungsverfahren gegen Phil Zimmermann, dem Erfinder von PGP, wegen Waffenexports angestrengt, da seine Software inklusive Sourcecode auf einen im Internet zugänglichen FTP-Server aufgetaucht war. Im Zeitalter des Internets war ein Exportverbot von Software halt nicht mehr durchzusetzen. Das Verfahren wurde schließlich 1996 eingestellt.

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Kurz verlinkt: Thomas Assheuer über die kybernetische Kontrollgesellschaft

In der ZEIT (31/2013, S. 36) von letzter Woche hat Thomas Assheuer einen lesenswerten Artikel über die „Mikrophysik der Macht“ veröffentlicht, in dem ich auch meine Gedanken zum Problem der Überwachung in Demokratien wiederfinde.

Eine Möglichkeit, die Ausweitung der Überwachung seit 9/11 zu deuten ist demnach, dass der Absolutismus nie wirklich überwunden wurde, sondern auch in vermeintlich liberalen Staaten in Form eines „tiefen Staates“ vorhanden ist, der alles über seine Untertanen, die nun allerdings Bürger heißen, wissen möchte, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Im Zeitalter der automatisierten Informationsverarbeitung ermögliche dieser Kontrollanspruch des Staates eine neue Kontrollgesellschaft, die durch „soziale Kybernetik“ gesteuert werden.

„Damit ist die Vorstellung gemeint, die Gesellschaft sei eine große Maschine, die sich, wenn man es nur geschickt genug anstellt, durch Datenerhebung und Informationstechniken steuern lässt. In einer solchen Maschine geht es nicht mehr um Argumente und Werte, um „Diskurs“ oder öffentliche Willensbildung, das ist der alteuropäische Kitsch von gestern. Es geht darum, die einzelne Teile der Gesellschaftsmaschine störungsfrei miteinander zu verschalten, es geht um systemische Bestandserhaltung und Gleichgewichtszustände, um Prävention und Risikovermeidung. Der Einzelne ist darin eine Art Sonde, die dem System durch seine Datenemissionen die nötigen Informationen liefert, um Abläufe besser zu kontrollieren. Perfekt läuft die Maschine immer dann, wenn der Bürger genau das will, was er auch soll.

[…]

Der Staat gleicht darin einer großen Firma, die die Stimmungslagen der Politikverbraucher abtastet und gelegentliche Widerstände durch neue Angebote aus der Welt schafft. Wählerstimmen werden mittels „Data-Mining“ ausgekundschaftet, während die Wahl selbst wie eine Art Produkt-Test verläuft. Der Wähler wird als Konsument angesprochen, der die Freiheit hat, sich kostenlos von unterschiedlich designten Polit-Angeboten verführen zu lassen.“

http://www.zeit.de/2013/31/nsa-ueberwachung-angst-kontrollgesellschaft

Warum Überwachung ein Problem in einer Demokratie ist.

(Disclaimer: folgender Text dient vor allem dazu, mir selber einen Gedankengang klar zu machen, der vermutlich noch nicht ganz abgeschlossen ist.)

Was ist eigentlich das Problem dabei, wenn andere – Firmen oder Regierungen – meine Kommunikation abhören, uns sehr genau darüber informiert sind, mit wem ich worüber spreche, oder auch nur, welchen Gedanken ich mit einer kurzen Googlesuche vertiefe.

Nun, solche Informationen lassen sich dazu nutzen, um ein recht genaues Profil von mir zu erstellen, das viel über meine ganz persönlichen Vorlieben, meine Stärken, meine Schwächen, Träume und Fetische verrät. Und solche ein solches Profil lässt sich dazu nutzen, um mich, teils sichtbar, teils unsichtbar zu beeinflussen. Google oder Facebook zeigen dadurch halt Werbung, die eher meinen Interessen entspricht und daher mit höherer Wahrscheinlichkeit von mir angeklickt wird.

Die Kenntnis seines Profils ermöglicht also eine Einflussmöglichkeit auf Menschen. So weit, so bekannt. Nur haben eben nicht nur Facebook oder Google mittlerweile die Möglichkeiten, recht genaue Profile über ihre Kunden zu erstellen, sondern auch der Staat (die Regierung, die „Mächtigen“, „die da oben“, etc.) kann sehr genau Wissen, wie seine Kunden Bürger ticken, und könnte dementsprechend Einfluss auf sie nehmen – ohne dass die Bürger dies merken. Bevor es beispielsweise zu massenhaften Protesten wegen des Abriss eines Bahnhofes kommt, könnte im Vorfeld versucht werden, Akzeptanz für die Maßnahmen der Regierung zu schaffen. Oder bevor arbeitslose Jugendliche gegen ihre Situation rebellieren, werden kurzfristig die Zahl der Überbrückungsmaßnahmen erhöht (oder die Zahl der Drogenfahnder in den entsprechenden Regionen reduziert…). Die Zahl der möglichen Stellschrauben, mit denen potenzielle gesellschaftliche Konflikte entschärft werden könnten, sind mannigfaltig.

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Prism und die gesellschaftssanitäre Aufgabe der Überwachung

Auf Carta hat Michael Konitzer darüber geschrieben, dass die massenhafte Überwachung des Internets durch die Geheimdienste, beispielsweise durch das vor Kurzem bekannt gewordene Prism-Programm der NSA vor allem dazu dient, um vermeintlich „normales“ Kommunikationsverhalten zu kennen, um „Abweichungen“ hiervon einfacher erkennen zu können.

Alles, was die Dienste für nicht „normal“ halten im Netz wäre demzufolge bereits ein Verdachtsmoment. Während ein gelegentlicher Besuch auf Youporn also möglicherweise noch als „normal“ angesehen wird, könnten bereits Besuche auf Indymedia oder von Dschihaddistenforen das persönliche Staatsfeindscoring nach oben treiben – und auf lange Sicht vielleicht zu „Maßnahmen“ der Regierungen führen. Man könnte dann noch intensiver überwacht werden oder bei der nächsten USA-Einreise sehr genau kontrolliert und nach seinen Facebook-Aktivitäten befragt werden.

Solche Befürchtungen sind nicht neu. Bereits vor mehr als 30 Jahren hat sich besonders in Deutschland das Alternative Milieu vor der Rasterfahndung und den Polizeicomputern gefürchtet. 1979 veröffentlichte der Spiegel eine 7-teilige Serie über das „Stahlnetz“ der polizeilichen und geheimdienstlichen Überwachung. Große Angst bereitete damals die geplante Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises – das ist die alte Plastikkarte mit Einträgen in computerlesbarer Schrift. Heute haben unsere Ausweise RFID-Chips und sind per Funk auslesbar – so viel zum technischen Fortschritt. Liest man im Lichte der heutigen technischen Möglichkeiten und der Prism-Enthüllungen die Spiegel-Serie, kann es einem kalt den Rücken herunterlaufen…

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Die „gesellschaftssanitäre Aufgabe der Polizei“ – Horst Herold im Interview (1980)

Horst Herold, Präsident des Bundeskriminalamtes von 1971 bis 1981, gehört sicherlich zu den bekannteren Figuren der 1970er Jahre. Als oberster Terroristenjäger der Republik war er maßgeblich für die Fahndung nach der RAF und der Bewegung 2. Juni verantwortlich und hat die Entwicklung des BKA geprägt wie kein zweiter. Bereits während seiner Zeit als Polizeipräsident von Nürnberg (1967-71) hat er sich mit Kriminalgeographie und dem polizeilichen Nutzen von Computern zur Speicherung und Auswertung von Informationen befasst, ein Instrument, welches er ab 1971 beim BKA forciert ausbaute. Nachzulesen ist über die bemerkenswerte Karriere von Horst Herold in der gelungenen Biographie von Dieter Schenk: „Der Chef. Horst Herold und das BKA.

Am Ende seiner Tätigkeit beim BKA, im Spätsommer 1980, gab Horst Herold dem Anwalt, Journalisten und Bürgerrechtler Sebastian Cobler ein folgenreiches Interview über die aktuelle Entwicklung der Kriminalistik. In der Fassung, in der das Gespräch schließlich im Magazin TransAtlantik erschien, war es Wasser auf den Mühlen jener, die im Computer eine große Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft sahen…

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Wochen. Alle Bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Das Gespräch zwischen Herold und dem Bürgerrechtler und Journalisten Sebastian Cobler sollte ursprünglich in der Zeitschrift Kursbuch erscheinen. Von der Offenheit seiner eigenen Worten überrascht, lies Herold das Gespräch jedoch derart redigieren, dass laut Cobler kaum noch etwas vom ursprünglichen Gesprächsinhalt übrig blieb. Auf die Veröffentlichung im Kursbuch verzichtet er daraufhin. Stattdessen erschien das unredigierte Interview in dem vom Kursbuch-Herausgeber Enzensberger gerade neugegründetem Kulturmagazin TransAtlantik, „als ein politisches Dokument“1Sebastion Cobler: Herold gegen Alle. Gespräch mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes. In: TransAtlantik 11/1980, S. 29-40, hier S. 29. Rudolf Augstein veröffentliche Auszüge aus dem Interview zusammen mit seiner Kommentierung im SPIEGEL, vgl. Rudolf Augstein: Der Sonnenstaat des Doktor Herold. Rudolf Augstein über ein Interview, das nicht gedruckt werden sollte. In: DER SPIEGEL 44/1980, S. 42-49. In einem Brief an den SPIEGEL äußerte sich Herold über das Interview, dass „der Sinngehalt (seiner) Aussage sich in dem Text nicht abbildet.“ Der Text würde „einseitig und primitivierend – teils verkürzend, teils aus dem Zusammenhang nehmend – Passagen zu einer Dialogfolge (montieren), die nicht stattgefunden“ haben. Die von ihm „ausbedungene Darstellung des polizeilichen Standpunktes zu aktuellen Fragen, die den eigentlichen Gesprächsinhalt ausmacht, (sei) nur bruchstückhaft und missverständlich angedeutet“, vgl. Hausmitteilung. Betr.: Herold. In: DER SPIEGEL 44/1980, S. 3..

Aus Sicht von Herold stellt sich die Geschichte des Interviews jedoch anders dar. Nach der Veröffentlichung des Interviews in TransAtlantik und einer anschließenden auszugsweisen Verwertung im Spiegel hatte Herold erfolgreich gegen Cobler geklagt, da er der Meinung war, das die veröffentlichte Fassung durch Auslassungen, Verkürzungen und Umstellungen nur noch wenig mit dem eigentlichen Gesprächsverlauf zu tun hätte.2Vgl. Dieter Schenk: Der Chef. Horst Herold und das BKA. Hamburg 1998. S. 430-433.2 Herold klagte nicht nur gegen Cobler, in den folgenden Jahren führte er über 70 Prozesse gegen die Verwendung des Interviews in unterschiedlichen Publikationen, darunter gegen den SPIEGEL. Cobler gab am Ende zu, dass seine Fassung des Interviews zu Fehldeutungen von Herolds Aussagen führen könne.3Vgl. Schenk: Chef, S. 453f. Trotz und auch wegen dem Vorgehen Herolds gegen das Interview führte es dazu, die Ängste gegen den „Computerstaat“ noch weiter zu verstärken. Daher stellt das Interview eine zeitgeschichtliche Quelle von hohem Wert dar.

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„Das Stahlnetz stülpt sich über uns“ – SPIEGEL-Serie von 1979 über elektronische Überwachung und die Gefahren des Computers

Die Auseinandersetzungen mit den elektronischen Schnüffeleien des Bundeskriminalamtes und der Verfassungsschutzbehörden sind deutlich älter als die Debatte um den Bundestrojaner (2011) oder den Großen Lauschangriff (1995). Bereits Ende der 1970er wurde befürchtet, dass die Sicherheitsbehörden mit Hilfe von Computern nun erstmalig dazu in der Lage seien, einen großen Teil der Bevölkerung systematisch zu überwachen und zu „verdaten“.

Der folgende Text zu dem Thema ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Wochen.

In einer siebenteiligen Serie mit dem Titel „Das Stahlnetz stülpt sich über uns“1Vgl. (Jochen Bölsche): SPIEGEL-Serie „Das Stahlnetz stülpt sich über uns“. Die westdeutschen Polizei- und Geheimdienstcomputer. (I) In: DER SPIEGEL 18/1979, S. 24-29; (II) In: DER SPIEGEL 19/1979, S. 36-56; (III) In: DER SPIEGEL 20/1979, S. 36-57; (IV) In: DER SPIEGEL 21/1979, S. 67-87; (V) In: DER SPIEGEL 22/1979, S. 72-94; (VI) In: DER SPIEGEL 23/1979, S. 38-54; (VII) In: DER SPIEGEL 24/1979, S. 34-57. berichtete DER SPIEGEL im Sommer 1979 umfangreich über die neuen Formen der elektronischen Datensammlung, Überwachung und Fahndung sowie über die damit verbundenen Ängste. Die vom SPIEGEL-Redakteur Jochen Bölsche verfasste Serie kann für die Debatte über elektronische Überwachung und den Gefahren eines hemmungslosen Computereinsatzes als sehr einflussreich angesehen werden, da sie einen größeren Leserkreis erstmals ausführlich über die schon vorhandene oder geplanten elektronischen Überwachungsmaßnahmen aufklärte.

Angereichert mit Stellungnahmen von Datenschützern, Polizisten und Politikern erschien die Reportage bereits im September 1979 auch als Buch.2 Vgl. Jochen Bölsche: Der Weg in den Überwachungsstaat. Reinbek 1979. Im Vorwort schrieb Bölsche dort: „Wer die Bundesrepublik des Jahres 1979 als perfekten Überwachungsstaat darstellt, redet ihn herbei.“3Bölsche: Überwachungsstaat, S. 9. Aber: „Wer nicht verharmlosen will, muß auf all die vielen schon heute sichtbaren Tendenzen hinweisen, die – wenn sie nicht gestoppt werden – die Bundesrepublik eines Tages in der Tat in einen totalitären Überwachungsstaat verwandeln können.“4 Bölsche: Überwachungsstaat, S. 9. Im Folgenden wird daher die SPIEGEL-Serie als Beispiel für die befürchteten Möglichkeiten und Auswirkungen einer computergestützten Überwachung herangezogen, nicht aber für die 1979 tatsächlich praktizierten Maßnahmen.

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