Dies ist Teil zwei einer losen Serie zum (historischen) Bildschirmtext der Deutschen Bundespost, ausgelöst durch und in Ergänzung zu Michael Schmalenstroers Post zur „Telekom und der Geist des Bildschirmtextes“. Teil 1 zur Netzneutralität bei Btx.
Grundlage meiner Ausführungen zu Btx ist im Wesentlichen das Buch von Volker Schneider aus dem Jahr 1989 über “Technikentwicklung zwischen Politik und Markt. Der Fall Bildschirmtext”. Es enthält auf den Seiten 69-167 die beste Schilderung der Entstehung und Entwicklung von Btx von der britischen Idee des “Viewdata” zu Beginn der 1979er bis zum Jahr 1989, die mir bislang bekannt ist.
Bildschirmtext (Btx) entspringt einem völlig anderen Geist als das heutige Internet. Während das Internet Ende der 1960er in den USA aus einem pragmatischen Ansatz, Ressourcen effizienter zu nutzen entstand, spielte bei der Entwicklung von Btx die Schaffung neuer Absatzmärkte von Anfang an eine entscheidende Rolle.
Die Grundidee von Btx entstand zu Beginn der 1970er in Großbritannien und bestand im Wesentlichen in der Kombination dreier Technologien, die zu diesem Zeitpunkt weitgehend ausgereift und auf der Suche nach neuen Einsatzmöglichkeiten waren: Timesharing-Computer, das Telefonnetz sowie der Fernseher. Timesharing, also das Aufteilen von Rechenkapazität eines Computers unter mehreren Nutzern, war in den 1960ern zur Serienreife geführt worden und hatte zusammen mit dem Transistor Computern für immer mehr Menschen verfügbar gemacht. Zu Beginn der 1970er war ein kommerzieller Markt für Rechenkraft entstanden, der natürlich auf der Suche nach neuen Kunden war.
Das Telefonnetz wurde in den Sechzigern überall in Westeuropa ausgebaut, wobei Großbritannien eine führende Rolle einnahm. Auch wenn in Deutschland in den 1970ern noch nicht jeder Haushalt einen Telefonanschluss hatte (BRD 1970: 22,5 %, 1986: 64 %), so war doch absehbar, dass bald eine Sättigung eintreten wird. Die ständig wachsenden Netze mussten auch damals schon finanziert werden, und eine Möglichkeit hierzu war, die auf Spitzenlast ausgelegten Netze auch in verkehrsarmen Zeiten besser auszulasten. Bei der britischen Post kam daher der Gedanke auf, Datenfernübertragungen auch Privathaushalten schmackhaft zu machen.
Ebenso hatte in den 1960ern der Fernseher in immer mehr Haushalten Einzug gehalten, der Markt für Fernsehgeräte war in den 1970er weitgehend gesättigt, zumal der Boom der Farbfernseher allmählich abflaute. Die europäischen Fernsehproduzenten hatten daher allen Grund, nach einem neuen verkaufsfördernden „Killer-Feature“ zu suchen, zumal sie auch zusehends die billige Konkurrenz aus Asien zu spüren kriegten. Mit Mikroelektronik hofften sie, einen technologischen Vorsprung aufbauen und halten zu können.
In dieser Gemengelage wurde Bildschirmtext unter dem Namen „Viewdata“ von der britischen Post entwickelt. Interessant ist, dass von Anfang an die Marketingabteilung der Post dabei eine groß gespielt hat und wichtige konzeptionelle Entscheidungen traf, etwa das „common-carrier-Prinzip“, eine Art Netzneutralität – vor allem, um möglichst schnell viele Anbieter in das System zu locken. Ein erster Prototyp von „Viewdata“ wurde im Frühjahr 1975 vorgestellt, 1977 startete der Dienst in Großbritannien dann relativ unkompliziert unter den Namen „Prestel“.
Die Deutsche Bundespost hatte schon vor dem ersten Prototyp von Viewdata Wind bekommen und zeigte sich sehr interessiert. Auch die deutsche Presseverleger waren von vornherein kritisch-konstruktiv an Viewdata interessiert, da sie in den letzten Jahren bereits durch das Fernsehen um ihren Einfluss fürchteten. Mit Viewdata (und auch mit dem etwa zeitgleich entstehenden Videotext) schien das Fernsehen bzw. der Fernseher endgültig auch in ihre Domäne des gedruckten geschriebenen Worts vorzudringen.
Ihren Einfluss hatte die Presse bereits in der ”Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems” (KtK) geltend gemacht, und als sich 1976 die Bundesregierung dazu entschied, neue Kommunikationsdienste zunächst vorwiegend über Telefonnetz zu realisieren und Bildschirmtext auch in Deutschland einzuführen, wollten die Presse auch hier mit dabei sein, um gar nicht erst die Chance für neue Konkurrenz entstehen zu lassen. Nicht zuletzt auch um die Presse zu beruhigen, entschloss sich die Post, bei Btx keine eigenen Informationen anzubieten, sondern nur die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.
Auf der IFA 1977 wurde Btx das erste Mal vorgestellt, die Bundespost hatte dazu eine Vorführeinheit des britischen Viewdata erworben, die auf der IFA mit großer Resonanz bewundert wurde. Btx sollte zunächst in zwei Feldversuchen „erforscht“ werden, ehe es der ganzen Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden sollte. Nach der IFA tingelte die Post mit der Vorführeinheit durch die Republik, um Informationsanbieter für Btx zu gewinnen. Recht schnell zeichnete sich ab, dass vor allem Interesse an Btx im Bereich der Medien, des (Versand)handels und der Banken bestand, für die es in erster Linie ein neuer Vertriebskanal darstellte.
Die (potenziellen) Anbieter organisierten sich ab 1978 in der sogenannten Anbieter-Vereinigung (Btx-AV), und auch die Industrie und Handelskammer war bereits in dieser frühen Phase stark an Btx interessiert, sodass die Wirtschaftsinteressen bereits in der konzeptionellen Phase von Btx die entscheidendste Rolle spielten. Die Nutzer von Btx wurden also primär als zahlungswillige Konsumenten gesehen.
In dieser Phase kamen auch die ersten Prognosen zum Wachstum von Btx auf, die natürlich zunächst die Anbieter zu Btx locken sollte, später aber den Charakter einer self-fulfilling-prophecy bekam, da alle Akteure vor allem auf hohe Umsätze hofften. (Dieses Phänomen ist vermutlichen den Wachstumserwartungen der „New Economy“ gut 20 Jahre später recht ähnlich, nur dass bei Btx in erster Linie das Geld der Bundespost und damit der Steuerzahler verbrannt wurde.)
Nach den Feldversuchen drängten die Anbieter dazu, recht bald mit der Masseneinführung von Btx zu beginnen, um ihre zum Teil hohen Investitionen zu refinanzieren. Ohne das Ergebnis der Feldversuche abzuwarten, beugte sich die Bundesregierung im Mai 1981 dem Druck der Wirtschaft und beschloss endgültig, Btx deutschlandweit einzuführen.
Während die Feldversuche noch auf Grundlage des relativ einfachen britischen Viewdata stattfanden, drängte insbesondere die Werbebrache dazu, einen neuen Standard zu verwenden, der mehr Zeichen und Farben enthielt. 1981 wurde dieser neue Standard, der federführend von der Bundespost entwickelt worden war, von der europäischen Fernmeldeunion CEPT angenommen. Das bundesdeutsche Btx sollte auf diesen CEPT-Standard basieren, wodurch die Geräte, welche die Teilnehmer der Feldversuche gekauft hatten, alle nutzlos wurden.
Btx wurde schließlich auf der IFA 1983 offiziell eingeführt, wobei der Start ein wenig holprig verlief. Aber ab Sommer 1984 waren diese Startschwierigkeiten überwunden.
Soviel erstmal zur Entwicklungsgeschichte von Btx, vielleicht schreibe ich in den nächsten Tagen auch noch was zur Endgerätesituation von Btx, die auch eine entscheidende Rolle beim Scheitern von Btx gespielt hat.
Ich hab noch etwas mehr über die Entstehung von #Btx und den Geist des „Shopping-Internets“ gebloggt: http://t.co/MtdBPtkmmg #zeitgeschichte