30 Jahre COMPUTER-GUERILLA – 30 Jahre Chaos Computer Club

8. November 2013 @ 9:37
1983-11-08-COMPUTER-GUERILLA
Überschrift auf der taz-Doppelseite vom 8.11.1983

Vor 30 Jahren, am 8. November 1983, veröffentlichte Wau Holland in der damals noch jungen und linksalternativen taz eine Doppelseite über „COMPUTER GUERILLA, die als ein Gründungsdokument des Chaos Computer Clubs und der deutschen Hackerszene gelten kann.

Im Herbst 1983 machte ein Hollywoodfilm die Macht, die mit einem vernetzten Heimcomputer ausgeübt werden kann, sehr anschaulich. In „War Games“ brachte der jugendliche Protagonist David mit seinem Heimcomputer und einem Modem die Welt an dem Rand der atomaren Vernichtung, ehe er sie heldenhaft retten konnte, indem er mit einem Computer Tic Tac Toe spielte. Der Film brachte das Phänomen der amerikanischen Hacker in das Bewusstsein der bundesdeutschen Öffentlichkeit, insbesondere der SPIEGEL wurde nicht müde, über die „umherschweifenden Hack-Rebellen“ (Die Formulierung spielt auf die „umherschweifenden Hasch-Rebellen“, eine 1969 bestehende westberliner Gruppe, die eine Vorläufer der Bewegung 2. Juni war) zu berichten. Auf der Messe der Internationale Fernmeldeunion ITU, der „telecom 83“ (auf der Seite der ITU kann man einen Bericht und einige Bilder von der telecom 1983 sehen) in Genf interviewte der Spiegel sogar Richard Cheshire, dem Herausgeber der TAP, einem damals schon legendären Newsletter über die Ge- bzw. Missbrauchsfälle der globalen Kommunikationsnetze.

Auch Wau Holland war damals nach Genf gefahren, um für die taz zu berichten und sich ebenfalls mit Cheshire zu treffen. Das Ergebnis dieser Reise war die Doppelseite, die eine Woche später in der taz erschien. Aufmacher war der Reisebericht von Wau und die Schilderung seines Messerundgangs. Wau war auf der Messe mit einem kritischen Blick auf die vorgestellten Produkte unterwegs und schaute hier und da, ob er nicht unzureichend gesicherten Passwörtern entdecken konnte („Alle Tastaturen hochheben. Zettel drunter abschreiben! Oder anderen hinlegen. Kilroy was here.“), die ihm Zugang zu ansonsten verschlossen, aber höchst interessanten Systemen verschaffen können. Natürlich hat Wau auch dem Stand der Bundespost einen Besuch abgestattet und die Postler mit kritischen Fragen gelöchert: Wie sieht es beispielsweise mit Zensur beim Bildschirmtext aus?

Wau bot auf der Seite aber noch mehr, insbesondere Hinweise auf Zeitschriften aus den USA. 1983, vor einem Internetzugang in jedem Wohnzimmer, als selbst Mailboxen in Deutschland noch kaum verbreitet waren, war der Informationswert von alternativen Zeitschriften und Newslettern sehr hoch. Sie enthielten oft Informationen, die auf keinen anderen Weg zu bekommen waren, da sich die Mainstream-Medien einfach nicht dafür interessierten. Interessierte man sich für „Nischenthemen“ wie alternative Nutzungsmöglichkeiten von Kommunikationsnetzen, war man darauf angewiesen, überhaupt erst von der Existenz solcher Newsletter wie der TAP zu erfahren. Nicht zuletzt deswegen dürfte die taz-Doppelseite auch so wichtig für die deutsche Hackerszene gewesen sein. Sie hat interessierte Menschen auf das Thema aufmerksam gemacht und zusammengebracht. Die Zeitschriftentipps waren übrigens mit „wau – chaos computer club“ unterschrieben, dem frühsten Nachweis für den Namen Chaos Computer Club, den ich bislang gefunden habe.

Als Reaktion auf die Doppelseite sind bei der taz zahlreiche Nachfragen nach dem Chaos Computer Club eingegangen. Eine Woche später druckte sie einen beispielsweise einen Leserbrief, indem „das Unambitionierte, völlig Unideologische, Spielerische“ der Seite gelobt und „als neue Form von Widerstand – auf der Höhe der Zeit quasi“ bezeichnet wurde. Dieser Zuspruch hat Wau ermutigt, aus dem lokalen Hamburger Computerstammtisch mit dem Namen Chaos Computer Club jene „galaktische Gemeinschaft ohne feste Strukturen“ zu machen, die noch heute existiert. Am 19.11.1983 fanden die Leser der taz daher auf der Kleinzeigenseite, zwischen „frauenterminen“ und „autonomes“, eine Anzeige, die sich an „hacker“ wandte.

"hacker" Für alle computer-freaks, die die TAZ-doppelseite vom 8. 11. über die ›hacker‹ gelesen haben und wissen wollen, wie sie dem deutschen ›chaos computer club‹ beitreten können: kontakt über WAU Holland, Schwenckestraße 85, 2 Hamburg 19 Beitrittsbedingung ist, das folgende programmierproblem zu lösen: ein programm zu bauen, das mit dem befehl ›run‹ und dem befehl ›list‹ dasselbe tut. Geht angeblich mit vielen programiersprachen u.a. Basic, Pascal, Fortran. Noch ein tip: das problem ist durch rekursion zu lösen.
Anzeige in der taz vom 19.November 1983 (S. 11). Die Anzeige wurde in der taz vom 23. November 1983 wiederholt (S. 10).

Auch auf diese Annonce erfolgten viele Antworten und so machte Wau sich an sein nächstes Projekt. Eine deutsche Version der TAP, die zugleich das Clubmagazin des Chaos Computer Clubs sein sollte. Die erste Ausgabe der „Datenschleuder“ erschien im Februar 1984, nachdem sie Wau an prominenter Stelle, der ersten taz des Orwell-Jahrs „1984“, angekündigt hatte. Ein Hinweis auf diesen „neuen Informationsdienst für Computer-Freaks“ schaffte es sogar in den SPIEGEL.

Anfang 1984 waren somit die Grundlagen für die galaktische Vereinigung Chaos Computer Club geschaffen. Der nächste große Schritt in der Clubgeschichte war der „Btx-Hack“, der im November 1984 den Club schlagartig bundesweit bekannt machte und seinen Ruf als kritischer Techniksachverständiger etablierte. Bald darauf fand zwischen Weihnachten und Silvester 1984 der erste Chaos Communication Congress im Eidelstedter Bürgerhaus statt, ein Termin und eine Veranstaltung, die seitdem Tradition haben und dieses Jahr zum 30. mal stattfindet, seit letztem Jahr auch wieder an seinem „Geburtsort“, Hamburg.

Was 1981 als Idee beim ersten Treffen von „Komputerfrieks“ in den Redaktionsräumen der taz begann, bekam im Herbst 1983 neuen Aufwind. Durch die taz-Doppelseite fanden sich deutsche „Komputerfreaks“ zusammen, die den „Strukturverstärker“ Computer nicht einfach widerstandslos den ohnehin schon mächtigen Institutionen überlassen wollten. Nicht zuletzt der jüngste NSA-Skandal zeigt, wie weitsichtig das damals war. Ohne Computerfreaks und Hacker hätten wir heute vermutlich höchstens ein „sauberes“ und gut überwachtes Btx und nicht ein Internet, dass zumindest die Chance bietet, Machtstrukturen zu verändern. Dafür können wir alle dankbar sein.

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