Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.
Die Kritik der Gruppe Schwarz & Weiß traf zumindest in einem Punkt zu. Seit dem Btx-Hack war der CCC bei den Medien gefragt und war sogar beim ZDF Jahresrückblick „Menschen 84“ zu Gast.1Vgl. Gruppe Schwarz & Weiß: Wo bleibt das Chaos? In: taz hamburg, 22. Februar 1985, S. 15. Auch die Buchverlage witterten, dass das Thema Hacker in Westdeutschland ein interessantes Thema sein könnte. Im Frühjahr 1985 kamen daher zwei Taschenbücher auf den Markt, die sich mit der deutschen Hackerszene auseinandersetzen und bei denen jeweils der Chaos Computer Club im Mittelpunkt stand.
Im Rowohlt-Verlag erschien im Februar ein Buch des konkret-Autors Werner Heine2 Heine hatte für die konkret bereits Anfang 1984 Wau Holland interviewt. Vgl. Holland: So wird „gehackt“., das „Die Hacker. Von der Lust, in fremden Datennetzen zu Wildern“3 Werner Heine: Die Hacker. Von der Lust, in Fremden Datennetzen zu Wildern. Reinbek 1985. hieß. Darin porträtiert der Autor den CCC als eine Gruppe von Menschen, die die Macht des Computers verstanden hätte, und denen es jetzt darum ginge, diese Macht ad absurdum zu führen. So soll Wau Holland laut Heine bei einer Fahrscheinkontrolle einmal seinen transportablen Computer herausgeholt und die Dienstnummer des Kontrolleurs eingegeben haben – dies allein hätte genügt, um die gefühlte Machtverteilung in dieser Situation völlig umzudrehen.
Dennoch würde der CCC laut Heine keine Politik machen, denn dies würde gemeinsames Handeln nach Regel erfordern, was den individualistischen Mitgliedern des CCC fremd sei. Heine weiter:
„Wenn Wau und die anderen trotzdem für etwas kämpfen, dann ist es das Recht auf ungehinderte Kommunikation. ›Die neuen Technologien‹, sagt Wau, ›sind Bürgersteige, auf denen wir das Wegerecht beanspruchen.‹“4Werner Heine: Die Hacker, S. 14f. Das zweite Buch, das Anfang 1985 auf den Markt kam, war „Die Hacker sind unter uns. Heimliche Streifzüge durch die Datennetze“ von Thomas Ammann und Matthias Lehnhardt. Die beiden Journalisten beschreiben darin einige der Aktionen des CCC und beschreiben im Stil einer Reportage ihre Reise in die Hackerszene, im Kapitel „Kabelsalat mit Hack“ setzen sie sich auch mit der erst kurzen Geschichte der Hacker in Westdeutschland und dem Chaos Computer Club auseinander, jedoch ohne im besonderen auf die Ziele des Clubs einzugehen, vgl. Thomas Ammann, Matthias Lehnhardt: Die Hacker sind unter uns. Heimliche Streifzüge durch die Datennetze. München 1985.
Aber auch der Club selbst war 1985 publizistisch tätig. Das Angebot einiger Verlage, ein Buch des CCCs zu verlegen, lehnte Wau Holland jedoch ab. Da er seit Längerem die Zeitschriften und Bücher des alternativen Verlegers Werner Piper las, wandte er sich an Pieper, um eine „Hackerbibel“ zu produzieren, die im Herbst 1985 erschien. Die Hackerbibel sollte die bisherigen Aktionen des Clubs dokumentieren und „das gesammelte Gedankengut verbreiten, um angefangenes fortzuführen und neues zu kreieren“5 Chaos-Team: Vorwort zu ersten Auflage. In: Hackerbibel 1, S. 9.. Im Sommer 1988 folgte im gleichen Format ein zweiter Teil der Hackerbibel.6Vgl. Chaos Computer Club: Die Hackerbibel 2. Das Neue Testament. Löhrbach 1988.
Die Hackerbibeln sind ein Sammelsurium von zahlreichen sehr unterschiedlichen Beiträgen. Der Dokumentationsteil der ersten Hackerbibel besteht hauptsächlich aus abgedruckten Zeitungsartikeln über den CCC und dem Btx-Hack. Daneben enthält sie auch einige extra für die Hackerbibel verfasste Beiträge sowie technische Informationen, etwa über IBM-Großrechner7Vgl. IBM Großrechner: Time Sharing Optionen (TSA). In: Hackerbibel 1, S. 83-87. oder zum SWIFT-Verfahren zur elektronischen Geldüberweisung.8Vgl. Weltgeld-Datenfluß. SWIFT oder als das Geld elektrisch wurde… In: Hackerbibel 1, 78-81. Rund die Hälfte der ersten Hackerbibel besteht aus dem Nachdruck der bisherigen Ausgaben der Datenschleuder sowie den ersten Ausgaben der TAP, was nochmals deutlich macht, welche große Bedeutung Wau Holland dem über 10 Jahre alten Newsletter mit in Deutschland nur schwer anwendbaren Informationen zumaß.
Die Hackerbibel enthielt auch einen Bauplan eines von einer Gruppe des CCC entworfenen Akustikkopplers, der wegen seiner aus Spülbeckenverbinder bestehenden Hörermuscheln als „Datenklo“ bezeichnet wurde. Mit dem Datenklo, dass im Sommer 1984 entwickelt wurde, sollte eines der dringendsten Probleme des Datenaustauschs jener Zeit gelöst werden – die schwierige Verfügbarkeit von Modems oder Akustikkopplern. Die von der Bundespost angebotenen Modems und Akustikkoppler waren relativ teuer, auch Importe aus dem Ausland waren nicht günstig und zudem illegal, sofern die Geräte nicht von der Bundespost zugelassen wurden. Das Datenklo basierte weitgehend auf leicht verfügbarer Hardware, und die Bauanleitung war derart detailliert, dass fast jeder mit entsprechenden technischen Fähigkeiten das Datenklo nachbauen konnte.9Vgl. Das CCC Modem. In: Hackerbibel 1, S. 95-110.
Die Bekanntheit des Clubs führte zu seiner Expansion. Bereits in der 13. Ausgabe der Datenschleuder vom Oktober 1985 wurden neben der Hamburger Gruppe auch Gruppen des CCCs in Berlin, Lübeck, Hannover und Basel genannt.10Vgl. die Datenschleuder 14, Dezember 1985, S. 1. Auch in: Hackerbibel 2, S. 145. Außer über die Datenschleuder der Hamburger Gruppe, tauschten sich die Mitglieder des Clubs vor allem über verschiedene Mailboxen aus.
In dieser Zeit entwickelte sich eine Mailboxszene in Westdeutschland. Ende 1985 schätze der Club, dass es etwa 250 Mailboxen in der Bundesrepublik gebe.11Vgl. Chaos Communication Congress`85. Die Europäische Hackerparty. In: Die Datenschleuder 14, Dezember 1985, S. 1. Auch in: Hackerbibel 2, S. 145. Der zweite Congress, der Ende Dezember 1985 wieder in Hamburg Eidelstedt stattfand, stand daher im Zeichen der Mailboxen. Mit Mailboxen schien der linke Traum von einer nur schwer zu unterdrückenden und zu kontrollierenden Gegenöffentlichkeit ein neues Stadium erreicht zu haben. Bei einer als „Euro-Party“ bezeichneten Aktion beim Straßburger Europaparlament wollte das „Chaos-Team“ im Oktober 1985 zeigen, welche Auswirkungen Mailboxen haben können:
„Gezeigt wird Mailbox-Kultur und Ansätze zu einer Informationsgesellschaft von unten sowie Berichte über Machtumverteilung durch Nutzung neuer Technologien. […] Gerade die elektronischen Briefkästen und Schwarzen Bretter verformen die bisherigen Machtstrukturen, da jeder Teilnehmer (ohne an einen Amtsweg gebunden zu sein) direkt agieren kann. Manch kleiner Sachbearbeiter merkt durch die neue Anschaulichkeit im Datenfluß, daß sich etliche Vorgesetzte nur durch das Weiterleiten von Ideen der unteren Chargen auf ihren Posten behaupten. Doch auch die negativen Folgen, die sich durch das elektronische Überwachen von Privat-Post in Mailbox-Systemen ergeben, müssen analysiert werden.“12 Chaos-Team: Strassburger Euro-Party. In: Die Datenschleuder 13, Oktober 1985, S. 1. Auch in: Hackerbibel 2, S. 141.
Der Traum von einer weitgehend unkontrollierbaren und uneingeschränkten Kommunikation in den elektronischen Medien wurde jedoch nicht von jedem geteilt. In einem der ersten Fälle von presserechtlichen Fragen in elektronischen Medien klagte Anfang des Jahres 1986 die Firma Vorwerk gegen den Chaos Computer Club. Der Club hatte in seinem Btx-Angebot einen Text eingestellt, den er aus dem in Bielefeld erscheinenden Alternativmagazin „Dreck“ entnommen hatte. Darin wurde unter der Überschrift „Onanie macht krank“ über die Verletzungsgefahren beim Masturbieren mit dem Staubsauger Kobold des Herstellers Vorwerk berichtet. Die Firma Vorwerk, die auf durch Mitarbeiter der Bundespost auf den Text hingewiesen wurde, sah hierdurch ihren Ruf gefährdet und schickte dem Club eine Abmahnung. Dieser konnte jedoch nachweisen, dass die geschilderten Gefahren keineswegs ausgedacht waren, sondern auf einer 1978 in München eingereichten medizinischen Dissertation beruhten. Ihnen ginge es somit auch in diesem Fall um Aufklärung über die Gefahren von Technik, woraufhin Vorwerk seine bereits eingereichte Klage zurückzog.13Vgl. Propeller am Penis. In: DER SPIEGEL 5/1986, S. 66-72.
Die Hackerbibel kann ich momentan nirgends im HTML-Format finden.
Alle, sogar der CCC selbst verlinkt unter Publikationen auf eine einzige Quelle, laut Suche dort ist der Inhalt wohl weg:
Die Seite des schweizer Offiziers, der sie gehostet hat, ist umgestaltet worden. Wer hat eine Kopie? Was zum Geier ist das für ein Internetz, in dem solche Inhalte verschütt‘ gehen??
Jedenfalls, das PDF wiegt je ca. 30MB, enthält aber sowohl OCR-Text als auch Rastergrafiken. Wäre ein tolles Projekt, das Layout komplett nachzubauen in HTML. Student*innen, anybody?
Grüße aus Köln 🙂
Ich hab die Bibel noch im Original, könnte die mal einscannen.
Eingescannt habe ich die ja bereits… Hackerbibel 1 Hackerbibel 2