Zurzeit läuft in der (noch) recht kleinen deutschen geschichtswissenschaftlichen Blogosphäre eine Debatte darüber, dass aufgrund der Privatisierungstendenzen der letzten Jahrzehnte immer mehr interessante Quellen aus dem regulierten System der staatlichen Archive herausfallen, sodass der Zugang zu ihnen künftig der Willkür privater Unternehmen unterliegt. (Siehe bislang hier und hier)1An dieser Stelle muss wohl auch ein Verweis auf den Aufsatz von Kiran Klaus Patel in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte unumgänglich: Kiran Klaus Patel: Zeitgeschichte im digitalen Zeitalter. Neue und alte Herausforderungen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), H. 3, S. 331–351. Michael Schmalenstroer fordert daher, dass der Zugang von Historikern(!) zu privaten Quellen gesetzlich geregelt werden muss, analog zu den bisherigen Regelungen im staatlichen Archivsektor.
Ich halte es auch für wünschenswert, dass private Unternehmen, zumindest wenn sie im Auftrag der Öffentlichkeit tätig sind, die gleichen Tranzparenzanforderungen erfüllen müssen, wie staatliche Akteure. (Wobei sich natürlich die Frage stellt, was im „Auftrag der Öffentlichkeit“ eigentlich bedeutet. Erfüllt nicht auch eine privatwirtschaftliche Bank einen öffentlichen Auftrag?) Allerdings nicht erst, sobald sich Historiker dafür interessieren, sondern schon heute! Denn Informationen, die heute bereits öffentlich sind, können sowohl heute schon im Sinne der Öffentlichkeit genutzt werden, als auch den Historikern in 20, 50 oder 100 Jahren dabei behilflich sein, die Vergangenheit zu erforschen.
Zukünftige Historiker haben daher bereits jetzt der Hackerszene und der Open-Data-Bewegung viel zu verdanken. Schon Klaus Kiran Patel hat das Beispiel Wikileaks genannt. Durch die Veröffentlichung der „Cabels“ des US-Außenmisteriums hat die Zeitgeschichte plötzlich relativ unerwartet einen großen Quellenkorpus erhalten, der aber zugleich eine methodische Herausforderung für sie darstellt.
Nur sollte sich die Geschichtswissenschaft nicht auf Whistleblower wie Bradly Manning oder Edward Snowden verlassen, um an Informationen zu kommen, sondern auf in der Tat auf ein einklagbares Recht auf Informationen von öffentlichen oder im öffentlichen Auftrag tätige Stellen drängen, etwa in dem sie vergleichbare Initiativen wie das erfolgreiche Hamburgischen Transparenzgesetzes unterstützen.
In dem Gesetz, das von einer breiten Bewegung von NGOs, Hackerszene und Parteien durchgesetzt wurde, sind private Unternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen, mit Behörden gleichgesetzt. Natürlich gibt es auch hier zahlreiche Einschränkungen, insbesondere die Tatsache, dass Dokumente zur Willensbildung des Senats ausgenommen sind, ist aus Sicht von Historikern natürlich ärgerlich. In solchen Fallen ist man dann wieder auf den 30-jährigen Umweg über staatliche Archive oder auf das Wohlwollen von Unternehmen angewiesen. Aber dennoch: durch vergleichbare Gesetze in allen Bundesländern und auf Bundesebene könnte für die Geschichtswissenschaft in Deutschland in Zukunft vieles einfacher werden.
Kurz: Wenn man heute die Institutionen transparent macht (d. h. : zur Transparenz zwingt), sind künftige Historiker in vielen Fällen gar nicht mehr auf institutionalisierte Archive angewiesen.
Andere Punkte, bei dem die (künftige) Geschichtswissenschaft viel von der Hacker- und Netzaktivstenszene lernen kann, sind das Urheberrecht oder die Maschinenlesbarkeit von Informationen. Dazu nur soviel: Quellen, die nicht kopiert werden dürfen oder sinnvoll ausgewertet werden können, sind im Digitalen Zeitalter von eingeschränkten Nutzen! Und dann sind da natürlich noch die Frage des Datenschutzes …
(Ich merke gerade, dass das Thema Gemeinsamkeiten von Hackern und (zukünftigen) Historikern noch Stoff für mehr bietet, das sollte ich mal dringend vertiefen …)
Frisch gebloogt: Die Quellen unserer Tage – nicht erst im Archiv! http://t.co/DllgmTwf69 #geschichtswissenschaft #opendata